Ludwig Finsterbusch an Ernst Haeckel, Mülheim an der Ruhr, 2. Januar 1904
Mülheim Ruhr, den 2. Januar 1904.
Herzlichen Dank, mein lieber Freund, für Deinen Neujahrswunsch, den ich hiermit mit dem Meinigen Dir u. Deiner lieben Frau weit über Berg u. Thale erwidere. Genießet Ihr beide das schöne Fleckchen Erde u. Du besonders die Wogen des Mittel-Meeres, aus dessen Grunde Du die Radiolarien einst fischtest vor 40 Jahren. Welche Riesenarbeiten in dieser Zeit Deinerseits! Und welche Umgestaltung seit 1864 in unserm Vaterlande. – Aber was will das bedeuten gegen die Ziele, die vor uns liegen auf religiösem u. ethischem Gebiete. Theoretisch sind sie aufgestellt, hundertfach in der Zeitlitteratur angedeutet u. dadurch in die Volksseele eingesäet, aber ehe die Saat aufgeht, soll sie praktisch vom Staate ausgeführt werden u. eine neue Gesellschaftsform schaffen mit ethischen Idealen, denen Gebildete u. Ungebildete, energische sowohl als sentimentale Naturen zustimmen, neben denen die wissenschaftlichen Rätsel oder Probleme u. die Gemütsphantasien oder Träume lediglich als Privatsache des Einzelnen nebenherlaufen, wieviel Zeit wird das noch kosten! Aber eins ist wunderschön! Wir haben eine schöne Zeit durchleben u. mit erleben dürfen! Herzlichen Gruß von uns Allen. Meine Helene ist für Dich begeistert.
Dein Finsterbusch.
[Adresse]
Herrn u. Frrau Professor Dr. E. Haeckel
im Hôtel Eden
Rapallo (Riviera di Levante.
Italia.