Hein, Reinhold

Reinhold Hein an Ernst Haeckel, Danzig, 4. Oktober 1874

Danzig d. 4ten October. 74.

Mein lieber Häckel!

Nach einer langen Pause, und ohne mich zu erinnern, ob nicht ich zuletzt noch an Dich geschrieben, sehe ich mich durch die freundliche Zusendung Deiner Schöpfungsgeschichte veranlaßt, Dir wieder einmal schriftlich ein Lebenszeichen von mir zu geben, in der Hoffnung, daß Du Dich doch noch für Deinen alten Studiengenossen interessirst trotz Deiner großen Arbeiten und wissenschaftlichen Erfolge. Vor Allem habe herzlichen Dank für Uebersendung Deines schönen Werkes, von dem Du allerdings hoffentlich nicht annehmen wirst, daß es mir bisher unbekannt war; ich habe im Gegentheil stets sowohl zu meiner Belehrung, als auch aus Interesse für Dich Deine Arbeiten und die vielen dadurch hervorgerufenen Streitschriften verfolgt so weit es meine Zeit gestattete, und will Dir nur zurufen: Viel Feind’, viel Ehr’! Also kämpfe nur muthig weiter! – ||

Allerdings sagt auch ein anderes Sprichwort: All’ zu scharf macht schartig! Und daran muß ich denken, wenn ich lese, wie Du mit Hiss u. Consorten umspringst. Aber Du wirst ja selbst nicht glauben, selbst auf der Gastraeatheorie ein unverrückbares fundamentum divisionis aufgestellt zu haben, sondern wissen, daß es Dir damit so ergehen kann, wie Virchow mit seiner Cellularpathologie. Aber das schadet ja auch garnichts, abgesehen davon daß Claus u. Virchow Dir die Beweise streitig machen wollen, denn die Wissenschaft erhält dadurch immerhin neues Material zum Aufbau des System’s, des Höchsten, was sie verlangen kann. Freilich ist Schematisiren bei solchen Arbeiten wohl unerläßlich und erinnere ich mich mit Vergnügen noch dabei Deiner schönen schematischen Zeichnungen mit Text nach Leydig über Entwickelungsgeschichte, die Du mir a. 54 (vor 20 Jahren!) zu meinem Geburtstage verehrtest. Wer dachte damals von uns an Ontogenie und Phyllogenie! ||

Ueber pathologische Verhältnisse der Keimblätter mich zu informiren hatte ich voriges Jahr noch Veranlassung bei Beschreibung einer interessanten Mißgeburt (in Virchow’s Archiv). Uebringens sind meine kleinen Arbeiten, die ich trotz großer Beschäftigung in der Praxis ab u. zu geliefert, für Dich von zu geringem Interesse, als daß ich sie erwähnen sollte. Was mir an Zeit die große Praxis übrig läßt, wird noch durch städtische Arbeiten (als Stadtverordneter) oder durch Vereinsarbeiten im socialen Interesse so absorbirt, daß für meine liebe Familie gar wenig übrig bleibt, obwohl ich in ihr meine glücklichsten Stunden verlebe. Meine gute Frau mit den 3 lieben Kindern (von 12 bis 4 Jahren) sind mein größter Schatz. Meine Else ist gestern in die 2te Classe gekommen u. Walther ist Quintaner geworden, während Güntherchen noch zu Hause sitzt, zumal er jetzt leider ein chronisches Leiden an einem Fußknochen hat. Daß ich aber über der Familie meine guten alten Freunde nicht vergesse, mag Dir der Umstand beweisen, || daß ich in diesem Sommer das Glück hatte, unsern guten Schuler nebst Frau und Nichte, sowie Passow von Rostock mit seiner liebenswürdigen Frau auf einige Wochen bei mir hier zu haben. Du kannst Dir denken, wie wir in alten Erinnerungen schwärmten, und ich kann Dir sagen, daß wir auch Deiner oft gedachten. Leider wurde Strube-Bremensien im letzten Augenblick noch abgehalten, herüber zu kommen. Solches Beisammensein erquikt mich ungemein, und ich halte sicher mehr als ihr Alle, an diesen alten Freundschaften fest. In Dein elterliches Haus kam ich zuletzt, als ich auf der Rückkehr aus dem Kriege 1871a meine Frau Deiner alten würdigen Mutter vorstellte; seitdem habe ich auch wenig von Dir und den Deinigen gehört und würde mich freuen, wenn Du mir einmal ein Mußestündchen opfern könntest, um mich über eure Verhältnisse im Laufenden zu erhalten. Vielleicht erfahre ich dann auch, was Dich veranlaßte, trotz dem ehrenvollen Rufe im lieben alten Jena zu bleiben.

In alter Freundschaft

Dein Reinold Hein.

a eingef.: 1871

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
04.10.1874
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 23516
ID
23516