Plarre, Otto

Otto Plarre an Ernst Haeckel, Gera, 7. Juni 1906

Gera, den 7. Juni 1906

Hochgeehrter Herr Professor!

Haben Sie herzlichen Dank für die photographischen Abbildungen der vom Naturwissenschaftlichen Verein Studierender zu Jena Ihnen gewidmeten Erztafel und des von Herrn Giltsch Ihnen verehrten prächtigen Gedenkblattes, die Sie die Güte hatten, mir zuzusenden, und die mir außerordentliche Freude bereitet haben.

Diese Bilder haben in mir wieder einmal die Erinnerung an die schönen in Jena verlebten Studienjahre geweckt, die mir zum ersten Male durch Ihre begeisternden Vorträge ein tieferes Verständnis der Rätsel u. Wunder der Lebewelt, im besonderen der Tierwelt, aufging, da ich zum ersten Male den Bau u. die Einzelingsentwicklung der Lebewesen ursächlich zu begreifen anfing und die Stellung und Bedeutung von uns Menschen in der Natur klarer zu erfassen begann. Damals schwellten die freudige Hoffnung und der heiße Wunsch meine Brust, an der Weiterbildung u. Verbreitung der Grundgedanken einer wahren einheitlichen || Welt- u. Lebensanschauung im Kampfe gegen die überlieferte unwahre Weltanschauung einmal tatkräftig mitzuwirken. Wie wenig ist davon in Erfüllung gegangen! Ein Gefühl der Wehmut u. Scham überkommt mich, wenn ich daran denke. Ich habe zwar zwar [!] nie aufgehört, die monistische Welt- u. Lebensauffassung in mir selbst immer klarer u. folgerichtiger auszugestalten u. die Grundgefühle der darauf sich gründenden natürlichen Erkenntnisreligion immer kräftiger auszubilden, damit sie mir zu den tiefsten u. allgemeinsten Beweggründen meines Handelns wurden; aber nach außen hin, zur Weiterverbreitung der monistischen Weltanschauung und der natürlichen Erkenntnisreligion habe ich doch bis jetzt noch so gut wie nichts getan und tun können, und das ist es, was mich bis jetzt zu keiner rechten Zufriedenheit mit mir selbst hat kommen lassen. Es ist das um so mehr der Fall, als ich aus dem neurotischena Emporwuchern von rückschrittlichen Bestrebungen in unserem Staatsleben klar ersehe, daß gerade jetzt mehr als je Mitarbeiter u. Mitstreiter gebraucht werden.

Nun ich denke, daß ich in Zukunft etwas mehr Zeit u. Ruhe bekomme, um wenigstens hier in Gera mit meinen bescheidenen Kräften || für die Sache des Monismus eintreten zu können, und will zunächst versuchen, die hiesigen Gesinnungsfreunde in einer Ortsgruppe des Deutschen Monistenbundes zu sammeln. Zur Beschäftigung mit allgemeinen naturphilosophischen Dingen hat man hier in der Großgewerbestadt Gera vor lauter auf Gelderwerb gerichteten Berufsgeschäften freilichb nur wenig Zeit u. Lust übrig, aber ein Häuflein von Gesinnungsgenossen glaube ich doch zusammenbringen zu können.

Wollen Sie sich nur vor allem, geehrter Herr Professor gesund u. rüstig haltenc, um der guten Sache noch recht lange als Führer u. Vorkämpfer erhalten zu bleiben!

Mit größter Hochachtung

Ihr ergebener Schüler

Dr. Otto Plarre.

a eingef.: neurotischen; b eingef.: freilich; c korr. aus: erhalten

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
07.06.1906
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 23483
ID
23483