Finsterbusch, Ludwig

Ludwig Finsterbusch an Ernst Haeckel, Mülheim an der Ruhr, 19. Juli 1892

Mülheim a/d Ruhr, d. 19. VII. 92.

Lieber Ernst!

Vielen Dank für Übersendung des Sonderabdrucks. Wie ich in der Zeitung lese, habt Ihr Jenenser wirklich das außerordentliche Glück den größten Mann Deutschlands in unserem Jahrhundert bei Euch zu sehen.

Auch wir hier in Mülheim sind von jeher begeisterte Anhänger u. Verehrer des Altreichskanzlers gewesen und sind es bis heute geblieben und werden es bleiben, komme es wie es wolle.

Kannst Du vielleicht die folgenden Strophen, die ich zur Melodie: „Stoßt an, Jena soll leben“ hingeworfen habe, verwerten, dann soll es mir eine große Freude bereiten; wenn nicht, dann wirf sie in den Papierkorb. ||

Stoßt an, Alldeutschland soll leben,

Alldeutschland hoch!

Wer das Deutsche Reich hat zusammengeschweißt,

Wenn den man einfach zum Schweigen verweist,

Versteh, wer es will! ∙/∙

Stoßt an, freies Wort lebe!

Hurrah hoch!

Oh du Presse, die ängstlich nach oben schielt

Und fügsam tanzt, wie von oben man spielt,

Verhülle Dein Haupt! ∙/∙

Stoßt an, deutscher Sinn lebe!

Deutscher Sinn hoch!

In Spanien trug der Kolumbus einst Ketten.

O Deutschland, willst Deine Ehren nicht retten!

Rette die Ehr, ∙/∙│

Stoßt an, Dr. Luther soll leben,

Dr. Luther hoch!

Die Du littest für Luther, o Magdeburg,

Protestierende Speier, und Augesburg.

Durch Nacht zum Sieg, ∙/∙

Stoßt an, Bismarck soll leben!

Bismarck hoch!

Wer das neue Kaisertum wahrhaft schätzt.

Und doch den Gründer, den Bismarck verletzt,

Versteh, wer es will. ∙/∙

Deinen Gruß durch Deinen zukünftigen Schützling Römer habe ich erhalten und ebenso die Andeutung, ich möchte meine Reise in den Ferien bis nach Jena ausdehnen. Meine Ferien beginnen am 13. August. Die ersten 14 Tage denke ich in der Heimat (Merseburg u. Halle) zuzubringen. || Wenn Du während dieser Zeit zu Hause bist, also in Jena, dann würde ich gern auf einen Tag nach Jena kommen, um Dich u. Deine Familie zu begrüßen. Denn, lieber Freund, wir werden allmählich alt, u. wenn wir uns auch einer guten Gesundheit erfreuen, so ist es doch in den 60 Jahren des Lebens leicht einmal geschehen! Deshalb versäume man nicht die Gelegenheit die Hand des Jugendfreundes zu drücken u. ihm ins treue Auge zu sehen.

Herzliche Grüße von Haus zu Haus.

In alter Liebe

Dein Ludwig.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
19.07.1892
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 2348
ID
2348