Finsterbusch, Ludwig

Ludwig Finsterbusch an Ernst Haeckel, Mühlheim an der Ruhr, 24. November 1878

Mülheim a/d Ruhr, den 24. Nov. 1878.

Lieber Ernst!

Du wirst gewiß denken, wenn der Mülheimer so lange mit seinem Danke wartet, wie Du mit dem Hochzeitsgeschenk, da kommt der Brief vielleicht erst, nachdem Post-Step-han ganz neue Marken wieder eingeführt hat – oder aber – a vielleicht gar nicht, denn bei Gott ist kein Ding unmöglich, also auch das nicht, daß der Mülheimer einer von den 9 Undankbaren ist. Aber nun sag nur, Du Jenenser Professor, hast Du denn nichts anderes zu bedenken und zu besorgen, als für die Hochzeitsgeschenke Deines Nächsten? b und meinst Du, Du, selbst ein Leuchtgefäß in menschlicher Form, der Du Dir einbildest, die krasseste Finsterniß von einigen Jahrtausendenc mit Deiner wissenschaftlichen Laterne zu einer leidlichen Dämmerung oder zu einer angehenden schwachen Morgenröthe nebst sturmverheißendem Morgenroth zu erhellen, Du hättest || das Recht, Deine Witze über meinen Namen zu machen, und mit Anspielung darauf mir ein Leuchtgefäß zu d schicken, und noch dazu ein hängendes, als sollte ich mich selbst hängen, weil ich doch nur die Welt verdüsterte und dem Lichte im Wege stehe? Alle diese Skrupel hat meine Frau Anna nicht mitempfunden, natürlich weil sie als Frau nicht in hohen Ideen spintisirt, sondern die Dinge ansieht, wie sie sind. So behauptet sie denn, eine Hängelampe sei e eine der schönsten Erfindungen des homo sapiens, weil dadurch viel seltener Kinderverbrennungen vorkämen, was ich in abstracto nicht leugnen kann. Außerdem sieht sie darin eine Ähnlichkeit mit den Himmelslichtern, die bekanntlich auch nicht feststünden, sondern in der Luft schwebten. Deshalb wurde ich sofort am Sonnabend vor 14 Tagen, allwo die Kiste u. natürlich damit auch die Lampe ankam, zum Blechschmied geschickt, welcher Nachmittags zwischen 1 und 2 Uhr unter zuschauender Assistenz der Familienglieder zuerst || sich an dem eingeschraubten Haken aufhing, um sich vom Gleichgewichte der nördlich gemäßigten Zone zu überzeugen, und hernach das Leuchtgefäß, welches er als ein Stück à la antique bewunderte, innerlich aber wohl etwas verwünschte, weil es nicht bei ihm gekauft war, im Ganzen aber doch gern befestigte, weil er bei den schlechten Zeiten in unseren industriellen Kreisen doch etwas dabei verdiente, zumal er einen neuen Glasschirm, Kuppel genannt, liefern durfte, denn weil die Verpackungskiste nur einhäusig war (Linné nennt es, glaub ich, monandria), so hatte bei einem der in der letzten Zeit häufig vorkommenden Erdpüffe, vulgo Erdbeben genannt, vielleicht auch bei einer einfachen Lokalitätsverschiebung oder Schwerpunktsumhüpfung unter Assistenz des noch embryonenhaften Gehirnskastens eines übereiligen Eisenbahnbeamten das schwerste Stück des Ganzen, worin viel Blei ist, nämlich die Balancirung den Weg zum leichtesten Theile des Ganzen, dem zarten Schirme gefunden; – und schon Schiller singt trotz seiner mangelhaften Bildung in Bezug auf physikalische Gesetze: Wo Zartes sich und Plumpes paart, da giebt es einen schönen Klang.

(nota bene: Letzteres schreibe ich nur, damit möglicherweise der Lieferant, wenn ers erfährt, sich und seinen auswärtigen Geschäftskunden – worunter ich mir auch von jetzt an rechne – zu Nutzen, durch ein Querholz die Kiste in 2 Abtheilungen theilt, wie dies z.B. in der Arche des Noah auch der Fall war, je für ein Männlein und ein Fräulein. Anmerkung des Herausgebers.) ||

Tags darauf, also Sonntag, heute vor 14 Tagen, wurde sie Abends zum 1. Male angesteckt und da sie vorzüglich brennt, wenigstens das Öl an ihrem Dochte, zu ihrer Einweihung f von Groß und Klein Schnipp-Schnapp-Schnurr u. Schwarzer Peter gespielt – wobei ich lebhaft an Deiner Mutter Stube in Merseburg erinnert wurde, wo ja über dem runden Tische auch solche Lampe hing, u. wo wir fast immer etwas Gutes zu schnabeliren, g sehr selten – aber doch ab und zu – einige harte Worte von Deinem seligen Vater an den Kopf geworfen bekamen: ich erinnere mich noch der fabelhaften Scene, wo wir absolut nach der Anklage des Gärtners einige Decken über den Mistbeeten sollten zertreten haben und eine fürchterliche Untersuchung statt fand. Außerdem wurde (nämlich heute vor 14 Tagen hier in Mühlheim das Ereigniß gefeiert mit gebratenen Äpfeln und einer Flasche Wein-Bowle, was mich weniger an den Merseburger Aufenthalt erinnerte, da man dort selten Wein trank wahrscheinlich aus Furcht vor dem Naumburger. – Genug Du siehst, Du hast eine immense Freude bereitet, um so größer, als kein ehrlicher Mensch an die Lampe gedacht hat, und bei Erwähnung Deines Namens nur ein einziges Bedauern öfters h laut geworden, nämlich daß Du zu weit entfernt wohnst, um Dich einmal zu überraschen und sich an Deiner Liebenswürdigkeit erfrischen zu können. – Anna geht es recht gut, Ernst ebenfalls, er ist der 4. in der Rangordnung seiner Klasse, der Sexta. Ich war mit beiden während der Ferien auf 14 Tage im Siebengebirge, das hat uns wohlgethan. – Die kleine Helene ist jetzt 11 Monate alt u. hat sich prächtig entwickelt. 6 Zähne und läuft schon allerliebst, natürlich auf Schritte u. an Stühlen. Wie gehtʼs Deiner Familie? Grüße Deine liebe Frau u. Kinder von mir und den Meinigen. –

Apropos: Für die Vorträge noch einen ganz speciellen Dank. Bei etwaiger Herausgabe meiner Werke werde ich mich revanchieren. Glück zu Deinen Radiolarien. Sagʼ mal, meine Frau kennt keine Medusen, warum hast Du nicht ein Paar in die Kiste mit beigelegt? So müssen wir uns mit Abbildungen begnügen. Nun Adé, alter Freund!!! –i

a gestr.: da; b gestr.: zu; c korr. aus: Jahrh; d gestr.: machen; e gestr.: d; f gestr.: mit; g gestr.: b; h gestr.: kundg; i weiter am linken Rand, quer zur Schreibrichtung: Apropos: Für … alter Freund!!! –

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
24.11.1878
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 2340
ID
2340