Finsterbusch, Ludwig

Ludwig Finsterbusch an Ernst Haeckel, Halle, 24. Juli 1852

Halle, den 24/7 52.

Lieber Ernst!

Da ich soeben vernommen, daß ein Päckchen an Dich abgehen soll, darf ich es nicht versäumen, dasselbe mit einem Briefchen zu belasten. Lieber Freund! vor Allem geht es doch mit Deinem Fuß besser. Von meinem kann ich Dir zu meiner Freude schreiben, daß ich durch den Gebrauch der Maschiene, von der ich das vorige Mal schrieb, bedeutend im Gehen unterstützt werde, so daß ich nicht allein größere Spaziergänge machen kann, sondern sogar zu meiner nicht geringen Freude, und meiner Eltern Überraschung es habe wagen können, von hier bis Merseburg zu gehen, ohne etwas anderes zu verspüren, als Müdigkeit. Mit dem Gelenk will es freilich nicht so gut gehen, und es wird wohl nur in höchst beschränktem Maße wieder hergestellt werden. Trotzdem bin ich höchst erfreut, durch obigen Versuch eine sichere Gewähr für die erfreuliche Zunahme der Kräfte zu haben.

Daß Du nicht Medicin studiren kannst, wie Du wegen Deiner reizbaren Nerven, eines bedenklichen, aber am Ende durch Gewöhnung in hohem Grade zu beseitigenden Übels, glaubst, das, glaube ich, thut Dir auch, wie man so sagt, nicht in der Seele weh. Wenn schon einem Jeden die theoretische Seite seines Fachstudiums das Anziehende ist, gegenüber der Praxis mit ihrer widrigen Schattenseite: so wirst Du gerade vorzugsweise, || so viel ich Dich kenne, Dich am liebsten für Deine ganze Lebenszeit mit der Wissenschaft als solcher beschäftigen. Freilich muß aber, um zu ihr vorzudringen, manche Vorarbeit verrichtet werden, welche nichts weniger als wissenschaftlich ist; aber darüber kann Dich Niemand trösten. Vorarbeiten sind überall nöthig, und in Deiner Disciplin dürften sie wohl unter die angenehmsten gehören. Wenn sie aber mehr praktisches Geschick verlangen, als in anderen Disciplinen, so fordert die Praxis den schuldigen Tribut hier vor dem Eindringen in die Wissenschaft, welchen sie v. andern vorzugsweise später fordert. Daß Dir nun Versuche mißlingen, u. Präparate nicht sofort mit Leichtigkeit zu Stande kommen wollen, das thut der Mangel an Übung, welchen Du bei Deiner entschiedenen Neigung binnen Kurzem durch unausgesetzte Versuche nach Wunsche überwunden haben wirst. Mithin unterstehe Dich nicht, etwa eine neue Fakultät zu erfinden; ist doch zwischen den jetzigen schon Hader die Hülle und die Fülle.

Mit dem Studium der Philosophie ist es gar nicht so weit her, als Du zu denken scheinst. Allerdings konntest Du das schließen, da ich von keinem andern Colleg Dir etwas schrieb. Aber für die philologische wirst Du Dich nicht interessiren, da Du mit kecker Ironie u. lustiger Laune Dich durch die Unterschrift, stud. med., von phil.! hinlänglich als den in der Natur schwelgenden Beobachter gegenüber dem über den staubigen Schweinsledernen Bänden brütenden Philologen charakterisiren willst. Für dergleichen kleine Hiebe || kann ich mich ganz gemüthlich entschädigen, wenn ich denke, wie Du vielleicht eben an einem Präparate sitzt, u. bei 1em fatalen, äußerst fatalen Mißlingen mit dem Fuße stampfen möchtest, u. durch ähnliche Gesticulationen die frühern Turnübungen zu ersetzen versuchst. Das philosophische Kolleg habe ich aber nur erwähnt, weil du in diesem Semester ja philosoph. hören wolltest. Ich wollte mir die „wissenschaftl. Botanik von Schleiden“ auf der Bibliothek pumben, sie war aber unglücklicher Weise schon verliehen; ich habe mich nun zwar eintragen lassen, so daß ich sie zunächst bekommen muß, aber für dieses Semester habe ich kaum noch Aussicht, da Ende dieser Woche die Bibliothek bereits geschlossen wird. Die Kollegien dagegen werden den 7. Aug. geschlossen werden, trotzdem werde ich aber bis zum 14. hier bleiben, u. dann erst in meine gelübde Heimathstadt übersiedeln, um mich in ihrem Schooße auf eine ganz unergötzliche u. trockene Weise zu amusiren. Meine Kollegien waren diesem Semester: Römisch. Literaturgeschichte, das Symposion v. Plato, u. Satiren des Prosius u. Juvenal. Außerdem höre ich noch publice das 3 stündige Kolleg: Philosophie der Geschichte bei Hagen, einem jungen, aber sehr talentvollen Privatdocenten. Vorzüglich hat er einen fließenden und gewandten Vortrag, und eine lebendige, anschauliche und wirklich kunstvolle Dar- || stellung, wenn man auch hinwieder nicht verkennen darf, daß er bisweilen, aber glücklicherweise nur selten, mit einem Schwall von ineinander verflochtenen Fremdwörtern völlig überfluthet u. dann den Zuhörer mehr in den Wogen des Sinnentaumels auf und nieder schaukelt, als eine klare Anschauung giebt durch scharfe Umrisse und präcise Bezeichnung. Aber das trifft doch verhältnißmäßig nur selten; in der Hauptsache giebt er treffliche Ideen zur Geschichte, indem er diese nicht abstrakt philosophisch, also teleologisch, betrachtet, sondern die Wendepunkte der Geschichte, welche in der pragmatischen Darstellung sich zu allmähligen Übergängen in Form eines Bogens abschleifen, in ihrer Idee auffaßt und nach Art eines Winkels, einer scharfen Kante zuspitzt.

Du schreibst, Du habest noch keinen Freund gefunden. Im Grunde geht es mir nicht anders. Bekannte findet man genug, auch einen vertrauten Umgang erwirbt man sich mit diesen oder jenen, natürl. Freunden; aber was ich von einer Universitätsfreundschaft verlange, wenigstens geträumt habe, das habe ich hier nicht gefunden. Deinem Briefe zufolge existiren in Berlin gar keine Verbindungen, oder wenigstens werden keine Farben getragen? Hier tragen die Germanen sogar noch Schwarzrothgold! Und gleichwohl ist schon hier das Studentenleben so beschränkt im Vergleich mit Jena, wie man aus einzelnen Sachen, selbst Kleinigkeiten, schließen kann.

Dorendorf ist schon ziemlich lange gefährlich erkrankt an Brustleiden, u. wird höchstwahrscheinlich sterben müssen. – Den Gruß von Wiegener u.s.w. wird Hetzer wohl schon besorgt haben. Das gewöhnl. Schema: Die Post geht ab, trifft hier wirklich in so weit ein, als der Brief binnen hier u. 19 Minuten bei Hetzer sein muß. Leb also wohl, schreibe mir bald wieder, nachdem ich Dich das 1. Mal auf eine unverzeihliche Weise habe warten lassen; bessere Deinen Fuß und amusire Dich in Teplitz u. die übrige Ferienzeit, und grüße Deine lieben Eltern bestens, deren Wohlthaten ich nie vergessen werde.

Dein treuer Freund, Ludwig Finsterbusch, stud. philol.a

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Letter metadata

Empfänger
Datierung
24.07.1852
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 2310
ID
2310