Rautenfeld, Paul von

Paul von Rautenfeld an Ernst Haeckel, Sanshui, 16. Mai 1911

Samshui, den 16. Mai 1911

Hochgeehrter Herr Professor.

Ich statte Ihnen meinen besten Dank ab für Ihren liebenswürdigen Brief vom 29. März und Ihre hübsche Einladungskarte zum ersten, im September dieses Jahres stattfindenden Monisten-Kongreß. Ich habe bereits der Ortsgruppe Hamburg des Monistenbundes, welche mich gleichfalls mit einer Einladung zum Kongreß beehrt hat, geschrieben, daß ich zu meinem Bedauern mir in diesem Jahre keinen Heimatsurlaub erwirken und daher dem freundlichen Rufe nach Hamburg zu kommen nicht Folge leisten könnte. Wie gerne würde ich zwischen dem 8ten und 11ten September in der freien Hansestadt weilen, um Sie, hochverehrter Herr Professor, wiederzusehen und Ihren || und der anderen berühmten Gelehrten Vorträge zu hören. Hoffentlich erscheinen letztere später alle im Druck.

Professor Wilhelm Ostwald ist in der Tat eine sehr geeignete Persönlichkeit für den Monistenbund. Wenn nur Dr Breitenbach, welcher doch wohl einer Ihrer verständnisvollsten Schüler ist, nicht Förderer dem Bunde gegenüber sein wollte, dann bliebe für dessen Zukunft jetzt kaum etwas zu wünschen mehr übrig.

Professor Ostwald’s Vater kannte ich als junger Gymnasiast sehr gut. Er war damals Verwalter des großen Petri-Kirchhofs in Riga und er machte auf mich den Eindruck eines sehr energischen und klugen alten Herren, jedesmal wenn ich ihn mit meinen Eltern in seinem sonnigen kleinen Wohnhause am Eingange des Friedhofs besuchte. Er sprach dann immer mit Stolz von seinem berühmten Sohne und dessen ausgezeichneter Anstellung als Professor der Chemie in Leipzig.

Daß Sie, Herr Professor, in den letzten Monaten || so viele Festlichkeiten haben mitnehmen können, dürfte zu meiner Freude ein Beweis dafür sein, daß es mit Ihrer Gesundheit gut steht, und wünschte ich, daß auch Ihre hochverehrte Frau Gemahlin sich sehr bald wieder ganz wohl fühle. Ihres Herren Schwiegersohns Forschungsreise in Ostafrika werde ich mit dem größten Interesse verfolgen und ich hoffe auch, daß Professor Schultze’s Reisebericht über Neu-Guinea bald veröffentlicht sein wird.

Was das Phyletische Museum anlangt, so habe ich in dem diesjährigen vierten Hefte der „Neuen Weltanschauung“ mit tiefem Bedauern gelesen, daß Professor Plate, welchen ich für einen aufrichtigen Freund von Ihnen hielt, Ihren Wünschen in betreff der inneren Einrichtung des Museums nicht hat entgegenkommen wollen. Das Museum würde für mich persönlich sehr viel an seinem Wert verlieren, wenn ich in ihm Ihren Geist, d. h. die Ausführung Ihrer Ideen vermissen sollte. Die Zeitschriften „Monismus“, „Kosmos“, „Natur“ und || „Neue Weltanschauung“ sollten dem Beispiele des „Freien Wort“ folgen und auch Kollekte für das Phyletische Museum veranstalten; auf diese Weise könnten Ihnen noch weitere ansehnliche Summen für letzteres zur Verfügung gestellt werden.

Daß Professor Traub im Oktober an der Riviera gestorben ist, habe ich mit Schmerz gelesen. Schade, daß ihm bloß ein so kurzer Ruhestand nach jahrzehntelanger anstrengender Arbeit in den Tropen vergönnt ward. Er ist wohl an den Folgen der Vergiftung gestorben, welcher einer seiner rachsüchtigen malayischen Diner in Java verursacht haben soll.

Ich habe während des verflossenen Jahres einige sehr zeitgemäße Romane, welche auch von Ihnen günstig beurteilt worden sind, gelesen. Ich meine Matrowitz’ Dornröschen, Frohmut’s Pastor Röhlers wilde Rosen und delle Grazie’s Heilige und Menschen. Auch ist es sehr erfreulich, daß Ihre Natürliche Schöpfungsgeschichte in einer || billigen Volksausgabe jetzt erscheint. Dieses Buch, das mich am gewaltigsten zum Studium der Natur angetrieben hat, sollte von jedem gelesen werden. Vor kurzem ist es zu meiner Freude meinem Buchhändler in Hamburg nach langem Bemühen gelungen mir ein gut erhaltenes Exemplar der „Generellen Morphologie“ (1866) zu verschaffen. Bis dahin hatte ich bloß den vor einigen Jahren erschienenen Auszug Ihres grundlegenden berühmten Werkes gelesen.

Was China anbetrifft, so ist, besonders hier im Süden, in jüngster Zeit der Eifer für Neuerungen so groß geworden, daß die bezopften Himmelssöhne aus Ungeduld sich ihrer Zöpfe entledigen und Straßenkrawalle veranstalten, wovon Sie in den Zeitungen wohl gelesen haben werden. Es treten dabei auch leider antidynastische und sogar anarchistische Tendenzen zum Vorschein. Der Aufstand in Canton war jedoch nicht so schlimm, wie ihn die Tageszeitungen – auch in Hongkong – dargestellt || haben, und Samshui, das gleichfalls in die Hände der Rebellen gefallen sein sollte, ist überhaupt nie in Gefahr gewesen.

Mit meiner besten Empfehlung an Ihre hochgeehrte Frau Gemahlin verbleibe ich in aufrichtigster Verehrung

Ihr Ihnen ganz ergebener

P. v. Rautenfeld

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
16.05.1911
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 22313
ID
22313