Rautenfeld, Paul von

Paul von Rautenfeld an Ernst Haeckel, Swatow, 10. Dezember 1909

Swatow, d. 10. Dezember 1909

Hochgeehrter Herr Professor.

Indem ich Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin meinen herzlichsten Glückwunsch zum neuen Jahre darbringe, statte ich Ihnen zugleich meinen aufrichtigsten Dank ab für Ihren liebenswürdigen Brief vom 6ten Oktober und Ihre interessante Festrede zur hundertjährigen Geburtstagsfeier von Charles Darwin, welche mir ein überaus plastisches Bild der beiden großen Entwicklungstheoretiker, Lamarck und Darwin, vor Augen geführt hat. ||

Es hat mich auch sehr erfreut von Ihnen zu a hören, daß meine Sendung Photographien aus Ceylon und Indien Sie interessiert hat, doch lassen meine photographischen Aufnahmen sich nicht mit Ihren farbenprächtigen „Wanderbildern“ vergleichen, welche ich daher außerdem immer wieder zur Hand nehme, um meine schönen Erinnerungen besonders an Ceylon und Java wieder aufzufrischen. Gerne würde ich auch Ihre aus der Schweiz vor kurzem mitgebrachten Aquarelle sehen. Iseltwald am Brienzer See kenne ich nicht, doch nehme ich mir vor jenes, Ihrer Beschreibung nach reizende Dorf während meines nächsten Heimatsurlaubs zu besuchen. Meine Mutter verbringt diesen Winter zusammen mit meiner verwitweten || Schwester in Locarno am Lago Maggiore und beide sind sie auch entzückt von der dortigen Gebirgslandschaft.

Mit Bezug auf die Beobachtungen, welche ich seinerzeit über grüne Noktiluken im Hafen von Penang machte, war es mir sehr interessant meine Vermutung, daß es sich da um eine Symbiose mit Protophyten handelte, von Ihnen als wahrscheinlich bezeichnet zu finden. Sollte ich noch einmal nach Penang kommen, so werde ich nicht versäumen obige Beobachtungen, falls möglich, wieder aufzunehmen. Meine nächste Heimreise beabsichtige ich freilich über Neu-Guinea, Australien, Samoa, Tahiti und Süd-Amerika auszuführen, so daß ich wohl erst auf meiner abermaligen Rückreise nach China wieder durch den Indischen Ozean kommen werde. ||

Die innere Einrichtung des Phyletischen Museums geht also ihrer Vollendung entgegen, so daß ich nach fünf Jahren, wenn ich wieder in Europa auf Urlaub zu sein hoffe, unter Ihrer gütigen Führung alles in Augenschein werde nehmen können, besonders die vergleichende Anatomie der Primaten vom Skelett des Homo sapiens und von Professor Hans Meyer’s prächtigem Gorilla bis herab zu dem meines nordischen „Japaners“ und des zierlichen Tarsius spectrum. Auch wird es mir viel Vergnügen machen bei der Gelegenheit Ihren Herrn Assistenten Dr Schaxel persönlich kennen zu lernen.

Über China läßt sich nicht viel Neues berichten. Reformen sind jetzt an der Tagesordnung, zum Teil übereilt, wenn es auch wiederum an Reaktion nicht fehlt. Laut || Kaiserlichem Edikt sollen sämtliche Chinesen sich nach Ablauf von zwei Jahren ihrer Zöpfe entledigt haben, und, wenigstens in den höheren Gesellschaftsklassen, eine Veränderung der landesüblichen Tracht wird zur Folge haben müssen. Einen guten Fortschritt zur Verbreitung gediegenen westlichen Wissens garantiert die neueröffnete deutsche Universität in Tsingtau, der eine englische in Hongkong folgen wird. Der Eisenbahnbau schreitet auch fort im Reiche der Mitte. Neuerdings ist mit dem Bau einer Bahn von Shang nach Shêng-tu, der Hauptstadt von Szechuan, begonnen worden, um die gefährlichen Stromschnellen des oberen Jangtze zu umgehen. Ja, ein Chinese hat sogar ein lenkbares Luftschiff erfunden, um auch im Modernsten dem Westen nicht nachzustehen. ||

Ich erlaube mir diesem Briefe einen Zeitungsartikel, betitelt: „Neues über chinesische Affen“, beizufügen, welcher Sie vielleicht amüsieren wird. Der in ihm beschriebene Affe scheint mir jedoch nicht, wie der Berichterstatter glaubt, ein Orang-Utan zu sein, da er ja Backentaschen, Gesäßschwielen und Schwanz besitzen soll. Ich hatte den Redakteur der Shanghaier Zeitung brieflich gebeten mir eine Photographie des Affen zu verschaffen und bei der Gelegenheit auch einige Bemerkungen über die verkehrte Wiedergabe Ihrer naturwissenschaftlichen Ansichten durch den Kuantunger „Affenforscher“ – wahrscheinlich deutscher Missionar – gemacht.

Affen giebt es leider nicht im Hinterlande von Swatow, weswegen ich || selbst leider keine diesbezügliche Nachforschungen anstellen kann. Neulich machte ein Königstieger unsere Insel Kakchio unsicher. Einige Chinesen wollen ihn gesehen haben, auch soll er eine Kuh und ein Schwein getötet haben. Tieger zeigen sich jedoch hier sehr selten, sie kommen häufiger in der Nähe von Amoy und Foochow vor und werden dort auch ab und zu von Europäern geschossen.

Hin und wieder wird mir von chinesischen Farmen das interessante Temminck’sche Schuppentier (Manis) oder ein Stachelschwein gebracht. Einen rosaroten, fast weißen Delphin sehe ich häufig hier im Hafen, doch wollen die Swatow-Chinesen sich nicht überreden lassen ihn zu harpunieren, sie haben eine abergläubische Scheu vor ihm.

Das Meer in der Nähe von Swatow befindet sich leider ganz unter dem Einfluß || des schlammigen Mündungsgebietes des breiten Han-Flusses, an welchem der Vertragshafen gelegen ist. Vom artenreichen, herrlichen Makroplankton des Golfs von Neapel und Hafens von Messina ist daher hier fast nichts zu finden und auch das Mikroplankton ist recht monoton.

Mit nochmaligen herzlichsten Wünschen zum neuen Jahr Ihnen, hochgeehrter Herr Professor, und Ihrer verehrten Frau Gemahlin verbleibe ich

Ihr, Ihnen ganz ergebener

P. v. Rautenfeld

P.S. Gestatten Sie mir, hochgeehrter Herr Professor, eine ganz unwesentliche Berichtigung des „B“ vor dem „von“ auf meiner Visitenkarte wird irrtümlicherweise wohl den Titel „Baron“ suggeriert haben. P. v. R.

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Letter metadata

Empfänger
Datierung
10.12.1909
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 22309
ID
22309