Rautenfeld, Paul von

Paul von Rautenfeld an Ernst Haeckel, Swatow, 15. November 1908

Swatow, den 15. November 1908

Hochgeehrter Herr Professor.

Meinen besten Dank für Ihre freundliche Postkarte vom 20ten September des Jahres mit Ihrem von Anton Schöner so lebensvoll ausgeführten Portrait und für Ihre Flugschrift „Monismus und Naturgesetz“. Letztere laß ich sofort nach Empfand mit vielem Interesse durch und freute mich darüber wie gründlich der gute Herr Chwolson die Wahrheit von Ihnen zu hören bekommen hat.

Ehe ich noch Ihre Abhandlung erhielt, hatte ich bereits in der Zeitschrift „Aus der Natur“, auf welche ich abonniert bin, || einen anmaßenden Artikel in Bezug auf das „zwölfte Gebet“ von einem gewissen Dr Köthner vorgefunden und beim Lesen jener Kritik mich so sehr über deren unberechtigte Billigung und Lobpreisung der Chwolson’schen Schmähschrift gegen Sie, geärgert, daß ich sofort der Redaktion die Zeitschrift kündigte mit der Motivierung, daß ich mir als Abonnent derartige Verunglimpfungen nicht ohne weiteres bieten ließe. Deshalb hatte ich aus gleichem Grunde schon früher einmal, wie ich Ihnen bereits geschrieben, mit der „Naturwissenschaftlichen Wochenschrift“ gethan und kürzlich fand ich sogar Veranlassung mich gegen den sonst so vernünftigen Dr Paul Carus zu wenden, als er im Januar-Heft seines „Monist“ sich, meiner Ansicht nach, mißleitende und ausfahrende || Bemerkungen über die von Ihnen aufgestellten Thesen zur Organisation des Monismus erlaubt hatte. Als Antwort darauf erhielt ich sehr bald ein höfliches Schreiben, in welchem er meinen Brief in einer der nächsten Nummern des „Monist“ zu veröffentlichen versprach und folgendermaßen schloß:

„I am glad to know that Professor Haeckel has staunch friends all over the world, though I differ with him in his attitude toward religous matters I am glad that the idea of monism is spreading.

With kindest regards and best wishes, I remain,

Yours very truly,

Paul Carus.“ ||

Daß er in religiöser Beziehung mit Ihnen nicht übereinstimmt, wundert mich nicht, da in seinen Artikeln im „Monist“ und „Open Court“, besonders in letzter Zeit, ein Liebäugeln mit dem Katholizismus und anderen Kirchenreligionen unverkennbar ist.

Mit der letzten amerikanischen Post erhielt ich nun auch das diesjährige Oktober-Heft des „Monist“ (Vol. XVI No. 4) enthaltend unter anderem meinen oben erwähnten Brief und die angekündigte Antwort auf denselben. In letzterer verneigt sich Dr Carus nach kurzer Belobigung auf seine zahlreichen Artikel über Sie und schließt seine Erwiderung, wie folgt, ab:

„In former numbers we have discussed our differences with Professor Haeckel, and there is no need of || repeating them. Be it sufficient here to state that we deem these differences of great importance because their recognition would prevent monism from being narrowed down to a onesided partisan issue, and we feel convinced that Professor Haeckel himself would accept our views if we could have a quiet hour’s talk with him.“

Jenes „onesided partisan issue“ dürfte mit meiner Bemerkung im Zusammenhang stehen, daß Ihre Thesen „clear and uncompromising“ seien. Mit „uncompromising“ meinte ich natürlich ebenso sehr frei von Parteilichkeit wie frei von wankelmütigen Kompromissen. Etwas naiv erscheint mir der Schluß der Replike, wo Dr Carus glaubt in „a quiet hour’s talk“ Sie zu seinen metaphysischen Ansichten bekehren || zu können.

Da mir ein Extraexemplar der Oktober-Nummer des „Monist“ zur Verfügung steht, so erlaube ich mir Ihnen dasselbe zu senden, wenngleich mein dort veröffentlichter Brief nichts außer einem kurzen Protest bietet. Ist doch im Grunde genommen Dr Paul Carus eben so sehr Ihr Anhänger wie ich, unbeschadet dessen, daß seine Neigung zum Kompromiß und zur Mystik bei mir keinen Anklang findet.

Obgleich der Kern Ihrer monistischen Philosophie klar zu Tage tritt, so wollen so viele Ihrer Kritiker, zum Teil gewiß aus Neid und Verunglimpfungssucht, ihn absichtlich nicht erkennen. Es ist nur allzuwahr, daß Sophismen, Wortklaubereien und böswillige Begriffsverdrehung die Kunstgriffe sind, deren || die meisten jener Herren sich bedienen.

Ungeachtet dessen hoffe ich, hochgeehrter Herr Professor, daß jene Kritikopfer bloß vorübergehenden Unwillen bei Ihnen erregen und Ihre Gesundheit darüber nicht leidet sondern nunmehr wieder vollkommen hergestellt ist. Vielleicht gehen Sie diesen Winter wieder nach Rapallo zur Erholung.

Im übernächsten Frühling gedenke ich aus Ceylon in Neapel einzutreffen und werde darauf wahrscheinlich mit meiner Mutter bis zum Mai in Taormina bleiben und dort die heißersehnten Radiolarien zu fischen versuchen. Von letzteren habe ich hier in Swatow nur zweimal je ein Radiolar aus der Unterordnung der Acantharien finden können, wobei ich nicht einmal Zeit genug hatte jene reizenden Rhizopoden || in ihrer ganzen Strahlenpracht zu zeichnen.

Zum Schluß danke ich Ihnen, hochverehrter Herr Professor, noch herzlich für Ihre schönen „Wanderbilder“, welche ich, bald nachdem ich Ihnen meinen besten Dank für Ihre mir brieflich mitgeteilte Absicht sie mir zu schenken abgestattet hatte, vom Verleger derselben, Dr Koehler, zugestellt erhielt.

Mit den besten Wünschen zum kommenden neuen Jahre verbliebe ich aufrichtigster Verehrung

Ihr ganz ergebener,

P. v. Rautenfeld

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
15.11.1906
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 22291
ID
22291