Rautenfeld, Paul von

Paul von Rautenfeld an Ernst Haeckel, Peking, 10. Januar 1899

Hochgeehrter Herr Professor,

Obgleich der 16te Februar noch fern ist so beschäftigen sich doch meine Gedanken schon damit Ihnen meinen besten Glückwunsch zu demselben zu senden, feiern Sie ja an diesem Tage Ihren fünfundsechzigsten Geburtstag, welcher ein Freudentag ist nicht nur für Ihre nächsten Anverwandten sondern auch für alle die mit Ihnen als ihren großen Meister, nach dem „Wahren, Guten und Schönen“ streben!

Nachdem ich das Glück hatte Sie, Herr Professor, im Oktober des Jahres 1897 in Jena zu besuchen, eilte ich über Nord-Amerika, die reizenden || Sandwich-Inseln und Japan nach Söul zurück und wurde dann bald darauf von meinem berühmten Chef Sir Robert Hart wieder nach Peking berufen und zu einem seiner Sekretäre im Generalinspektoraten der kaiserlich-chinesischen Seezölle ernannt, als welcher ich augenblicklich noch thätig bin.

Nach Erledigung der Amtspflichten bildet in meinen Mußestunden das Studium Ihrer Werke meine Lieblingsbeschäftigung. Ich besitze bereits die „Natürliche Schöpfungsgeschichte“, die „Anthropogenie“, „Systematische Phylogenie“ und die „Indischen Reisebriefe“ in ihren neusten Auflagen sowie Ihre Vorträge und sonstigen kleineren Schriften soweit ich sie mir habe verschaffen können.

Die „Natürliche Schöpfungsgeschichte“ ist für mich das Buch der Bücher, in welchem sich mir das Weltall in seiner Einheit und wunderbaren Gesetzmäßigkeit in unvergleichlicher Klarheit und Faßlichkeit entrollt. Ich bin auch in Besitz || der englischen Auflage, um das Werk meinen vielen nicht-deutschen Freunden vorlesen und in die Hand geben zu können. Auch das Bild der Pithecanthropus-Familie, welches Sie die Güte hatten mir zu geben, zieht die Aufmerksamkeit meiner Besucher auf sich. Bei der Gelegenheit sind es im Allgemeinen meine chinesischen Bekannten, welche mit viel weniger Vorurteil als die hiesigen Vertreter westlicher Bildung und Civilisation meinem jedesmaligen kleinen Vortrag in Bezug auf die Vorfahren des Menschengeschlechts folgen und das, obgleich der Ahnenkultus bei ihnen geradezu Religion ist! –

Ihre Photographie, Herr Professor, auch ein teuerwertes Geschenk von Ihnen, steht in silbernem Rahmen vor mir auf meinem Schreibtische und ruft in mir stets das Wort Longfellow’s wach: „Lives of great men all remind us we can make our lives sublime“!

Nach ein paar Jahren hoffe ich meinen zwei-||jährigen Urlaub, welcher sich im chinesischen Seezolldienste alle fünf Jahre wiederholt, antreten und während der Zeit, soweit es mir als Laien möglich ist, zu Ihren Füßen mich dem Studium der Natur widmen zu können; kurz zuvor gelingt es mir dann vielleicht noch Ihnen meinen herzlichsten Glückwunsch zu Ihrem siebenundsechzigsten Geburtstage vom Gipfel des Samanala zu senden. Heute empfangen Sie jedoch, hochverehrter Herr Professor, aufs neue die besten Wünsche zu Ihrem diesjährigen Feste von

Ihrem ergebensten Verehrer und

Jünger im fernen Osten,

P. von Rautenfeld

Peking, den 10. Januar 1899.

Inspectorate General of Customs.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
10.01.1899
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 22275
ID
22275