Richthofen, Ferdinand Freiherr von

Ferdinand von Richthofen an Ernst Haeckel, Leipzig, 18. März 1885

Leipzig d 18.3.85.

Liebster Ernst!

Ich war nicht wenig überrascht, aus Deinem vor einigen Tagen erhaltenen Brief zu erfahren, daß man in Jena an die Berufung von Dr Nies denkt. Dieselbe würde in Fachkreisen jedenfalls allgemeines Staunen hervorrufen. Bei einer Versammlung dera oberrheinischen Geologen, deren Mitglied ich bin und deren Schriftführer er ist, lernte ich Dr Nies kennen. Er war sehr gefällig, entgegenkommend, einfach, durchaus anspruchslos, im Äußeren etwas mehr vernachläßigt als man es gern hat, und gewann durchaus meine Sympathie. Wissenschaftlich war er mir damals nicht bekannt. Nachher erfuhr ich, daß er 1868 eine kleine, recht sorgfältige Arbeit über den Keuper im Steigerwald geschrieben hat. Er schien mir wissenschaftlich selbst ein hohes Niveau nicht zu beanspruchen, und es ist mir in den Sinn gekommen, daß ich seine Bedeutung unterschätzt haben könnte, wenn ich ihn, allerdings ohne sorgfältigere Prüfung, unter den jetzigen Mineralogen, Geologen und Paläontologen gegen das untere Ende der Liste hin setzte und ihn unter diejenigen Geister reihte, welche sich in den geringeren Sphären der Wissenschaft bewegen, dabei aber im Stande sind, sich durch emsige Arbeit viel Verdienst zu erwerben.

Natürlich stutzte ich, als ich Deinen Brief erhielt. Ich mußte die Ueberzeugung gewinnen, daß mir diejenigen literarischen Leistungen von Dr Nies, welche seine Berufung zu einer Mineralogieprofessur zu begründen vermöchten, || entgangen seien; und da ich ihn persönlich schätze, so lag mir daran, meinen Irrthum b betreffs seiner wissenschaftliche Bedeutung zu berichtigen. Ich sah die Referate im Neuen Jahrbuch für Mineralogie etc., welche die literarische Arbeit der Einzelnen ziemlich gut zur Anschauung bringen, durch; ich sah andere Quellen nach; aber mit Ausnahme der genannten ca. 80 Seiten langen Abhandlung von 1868 finde ich, daß Dr Nies seit 1860 nur einige kleine Aufsätze über das eine oder andere Mineral und durchwegs über sehr geringfügige Gegenstände geschrieben hat. Trotz allen Suchens fand ich keinen Grund, mein früheres Urtheil zu ändern. Ich hätte sogar vor Beginn dieses Nachsuchens c und vor Empfang Deines Briefes eine reichere Ernte erwartet, da Dr Nies nicht jung ist.

Diese Ebbe in schriftstellerischer Thätigkeit mag durch eine glänzende Lehrbegabung und ein umfangreiches Wissen aufgewogen werden. Darüber habe ich kein Urtheil. Der persönliche Eindruck, der ja irrig sein kann, würde beide Suppositionen nicht rechtfertigen. Mir schien Dr Nies nicht aus dem Holz zu sein, aus dem man Universitätsprofessoren schnitzt.

Es scheint mir als Regel (die vielleicht einige seltene Ausnahmen hat) || zu gelten, daß wer mit 48 Jahren etwas Hervorragendes noch nicht geleistet hat, dies niemals thun wird. Wer dagegen im Alter von 29 Jahren schon so allgemeine Anerkennung und Werthschätzung seiner Arbeiten gefunden hat wie Dr Steinmann, von dem darf man wol auch für die Zukunft das Beste erwarten. Für ihn möchte ich in jeder Beziehung einstehen.

Nur ungern habe ich meiner Ansicht über Dr Nies schriftlichen Ausdruck gegeben, und ich thue es nur ganz vertraulich. Er ist mir als ein so vollkommen ehrenhafter Mann erschienen, daß ich es fast für ein Unrecht halte, wenn ich dazu beitragen sollte, ihm einen Stein in den Weg zu legen. Aber wenn es sich um die Besetzung von Lehrstühlen an unseren Universitäten handelt, müssen alle persönlichen Rücksichten zurücktreten. Die wirkliche Bedeutung allein darf entscheidend sein. Ich bin mir der Beistimmung meiner Fachgenossen gewiß, wenn ich Dr Nies zu den bedeutenderen oder zu größeren Hoffnungen Anlaß gebenden Vertretern der geologisch-mineralogischen Wissenschaften nicht rechne. Er mag recht tüchtig sein, aber nur innerhalb gewisser mittlerer Sphären.

Der von Dir erwähnte Name Katrein ist mir unbekannt. Im Neuen Jahrbuch finde ich seinen Namen nicht erwähnt. Luedicke gilt als ein recht guter Mineralog, ebenso || wie auch Oebbecke. Aber ich sollte meinen, daß Lepsius wegen seiner Vielseitigkeit Beiden vorzuziehen sein sollte. Seine Berufung würde beinahed allgemeine Zustimmung finden. e Dies würde, da die österreichischen Geologen Gegner von Lepsius sind, in noch allgemeinerer Weise bei Steinmann der Fall sein.

Ich bin begierig, nach welcher Seite die Würfel fallen werden. Nicht der Personen wegen, sondern um der Sache willen, würde ich es bedauern, wenn auch nach Jena wieder ein reiner Mineraloge berufen werden sollte. Ich stehe als Vertreter der physischen Geographie und Geologie auf neutralem Boden und habe gleiche Fühlung mit Paläontologie und Mineralogie. Ich sehe aber die letztere wesentlich wegen des antiquirten Namens „Mineralogische Professur“ ungern an unsern Universitäten zu sehr in den Vordergrund gedrängt.

Möge ein guter Stern Euch leiten. Liegt nicht schon in dem Namen „Steinmann“ ein gutes Omen?

Mit freundschaftlichem Gruß

Dein

F v Richthofen. ||

Dr Gustav Steinmann hat geschrieben:

Ueber fossile Hydrozoen aus der Familie der Coryniden Palaeontographica XXV, 1878.

Zur Kenntniß fossiler Kalkalgen (Siphoneen), Neues Jahrbuch für Mineralogie etc. 1880 II, p. 130.

Zur Kenntniß des „Vesullians“ im südwestlichen Deutschland, ebenda, p. 251.

Die Foraminiferengattung Nummoloculina. Neues Jahrbuch 1881 I p. 31.

Ueber Protetractis Linki, eine Lithistide des Malm ib. 1881 II p. 154.

Ueber Tithon und Kreide in den peruanischen Anden. ib. p. 130.

Zur Kenntniß der Jura- und Kreideformation von Caracoles (Bolivien) ib. Beilageband I p. 209.

Die Gruppe der Trigoniae pseudoquadratae. ib. 1882 If p. 219

Ueber Jura und Kreide in d. Anden ib. p. 166

Pharetronen-Studien, ib. II p. 139.

Dazu einige kleinere Sachen in der Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft, ferner werthvolle Notizen von seiner südamerikanischen Reise (1882–84). Dann hat er mit gearbeitet an den Geologischen Uebersichtskarten des westl. Theils von Deutsch-Lothringen, welche im Druck befindlich ist.

a eingef.: der; b gestr.: über; c gestr.: weit; d eingef.: beinahe; e gestr.: Diese w; f gestr.: II; eingef.: I

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
18.03.1885
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 21649
ID
21649