Richthofen, Ferdinand Freiherr von

Ferdinand von Richthofen an Ernst Haeckel, Leipzig, 23. Februar 1885

Leipzig d 23.2.85.

Liebster Freund!

Beifolgend sende ich Dir ein Verzeichniß der Hauptschriften von Dr. Steinmann. Paläontologie und Formationskunde sind ihre Gegenstände. Wenn Du sie ansiehst, wirst Du bemerken, daß er auch bei geringfügigen Gegenständen sich nicht im Detail verliert, sondern stets die Resultate auf allgemeinere Fragen anwendet. Bedeutungsvoll versprechen seine Arbeiten über Süd-America zu werden.

An Dr. Gottsche habe ich auch gedacht, weil Zittel ihn mir öfters gerühmt hat. Aber einerseits ist er auf unbestimmte Zeit in Japan; andererseits ist mir bei persönlicher Bekanntschaft seine eigene sehr volle Ueberzeugung von seinen Talenten etwas störend gewesen. Dies ist bei Steinmann gar nicht der Fall.

a Ueber Branca habe ich Dir geschrieben. Ich habe nur Lob über ihn gehört. Böhm’s Arbeiten habe ich nur aus Referaten kennen gelernt. Rothpletz liebt, soweit ich ihn kenne, überraschende Resultate, hat aber damit nicht sonderlich Glück, da sie gewöhnlich bald widerlegt werden. Dennoch berechtigt sein nicht unbedeutendes Talent zu guten Erwartungen. Persönlich war er mir bei unserer einzigen Begegnung nicht anziehend. ||

Ueber die Wiener Geologen Tietze, Teller, Uhlig läßt sich nur Günstiges sagen. Am besten kenne ich Tietze und seine Arbeiten. Ich habe ihn als meinen Nachfolger in Bonn vorgeschlagen, da Oberflächengeologie und physische Geographie sein Hauptstudiengebiet sind. Er hat viel gelesen und gut beobachtet. Aber so gern ich ihn an einer Universität für Geographie eintreten sehen möchte, glaube ich nicht, daß er der richtige Mann für eine sogenannte „mineralogische“ Professur sein würde.

Das Centrum der hierin sich berührenden Wissenschaften ist die reine Geologie. In ihr laufen die Fäden von zwei ganz verschiedenen Richtungen zusammen; einerseits von der Mineralogie, die sich auf Chemie und Physik stützt und in der Krystallphysik schon eine ganz selbstständige Seitenverzweigung hat. Andererseits von der Paläontologie, die auf den biologischen Wissenschaften beruht. Am besten ist es natürlich, wenn auf einer Universität beide Richtungen getrennt vertreten sind. Beide hinreichend zu beherrschen, b um sie mit Erfolg || in gleicher Vertheilung zu dociren, ist jetzt Niemand im Stande. Ist nun aber ein einziger Lehrstuhl vorhanden, so sollte, meiner Ansicht nach, der Betreffende das Gesammtgebiet der Geologie beherrschen und zugleich in einer der Fundamentalwissenschaften (Mineralogie oder Paläontologie) Specialist sein. Indessen scheint es mir keineswegs gleichgültig, in welchem dieser beiden Zweige er Meister ist. Wenn man das jetzt an Universitäten wirksame Personal überblickt, so zeigt sich, daß die weit überwiegende Zahl der Mineralogen (und selbst der Petrographen) von ihrem besonderem Studium so hingenommen werden, daß sie die Geologie gänzlich bei Seite liegen lassen. Das gilt von den Koryphäen, wie Webski* c, Groth, Liebisch etc., aber noch weit mehr von der jüngeren Generation. Bei den Paläontologen ist dies viel weniger der Fall. Einige von ihnen, wie Zittel und Suess, gehören zu den hervorragendsten Vertretern der allgemeinen Geologie.

Es erscheint mir daher dort, wo nur Ein Lehrstuhl vorhanden ist, am wichtigsten, ihn mit einem Paläontologen zu besetzen, der durch seine Arbeiten und seine sonstige Thätigkeit bewiesen hat, daß er die || Geologie in der Bedeutung ihrer Probleme versteht. Tietze hat einen weit geübteren geologischen Blick als Steinmann (und ist ü. 15 Jahre älter); aber er ist nicht, wie dieser, Specialist in einer der grundlegenden Disciplinen. Nur ein solcher vermag, wie ich glaube, seinen Schülern exacte Methode beizubringen. Mit Steinmann würde Eure Universität eine tüchtige junge Kraft gewinnen. Er ist ein Mann von weitem Blick. Seine Reisen haben ihm ein außerordentlich reiches Beobachtungsmaterial über eine Fülle geologischer Gegenstände, auch über den Vulkanismus der Anden, eingetragen. Ich würde ihn vor Antritt seiner Reisen empfohlen haben und kann dies nun in verstärktem Maße thun.

Mit dem Wunsch, daß ein günstiges Gestirn Euch bei der Wahl leiten möge

in alter Freundschaft

Dein

F v Richthofen

Es ist ein ungünstiger Zustand, daß der alte Name „Mineralogie“ für die Gesammtheit der akademischen Wissenschaften von Allem was Stein und Erde ist, beibehalten worden ist. Der Schwerpunkt ist gänzlich verrückt und liegt jetzt in der Geologie. Ich stimme Dir ganz bei, daß dieser Name in die Bezeichnung der sog. mineralogischen Professur aufgenommen werden müßte.

*Webski hat allerdings reges Interesse u. Verständniß für Geologie.

a gestr.: Zu den; b gestr.: ist; c am rechten Rand von S. 3 eingef.: Webski hat … für Geologie.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
23.02.1885
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 21645
ID
21645