Ernst Reimer an Ernst Haeckel, Berlin, 9. Januar 1893
Georg Reimer in Berlin.
S. W. Anhaltstr. 12.
9. Januar 1893
Lieber Ernst
im Buchhändler-Börsenblatt fand ich dieser Tage die Ankündigung von der Herausgabe Deiner Brschüre „über Monismus und Religion“ im Verlage von Strauss in Bonn. Ich freue mich, daß Du diese wohlangesehene und rührige Firma gefunden hast, die besonders den Vertrieb so aus dem Fundament versteht, daß Du wohl auf neue Auflagen wirst rechnen können. Aber ich darf wohl annehmen, daß Du lieber Schwager nun nicht im Verdruß darüber, daß ich diesen Verlag nicht angenommen habe, auch der Strausschen Buchhandlung den Verlag der systematischen Phylogenie übertragen hast; das würde mich sehr betrüben. Wenn Du mich darüber beruhigen kannst, so thue das, bitte, und laß mich zugleich wissen || wann ungefähr Du den Druck des ersten Theils (Wirbelthiere) willst anfangen lassen, damit ich die Pohlsche Druckerei mit dem nöthigen Druckpapier rechtzeitig versorgen, d. h. 3 Wochen vor Beginn des Druckes die Anfertigung des Papiers in der Fabrik bestellen kann.
Uns ist es seit Weihnachten trotz der grimmen Kälte leidlich ergangen. Auch Schwägerin Clara ist gesund und munter, die von Deinem wackeren Walter meinem ganz besonderen Freunde schon wiederholt die muntersten Postkarten-Berichte von seiner Reise nach Italien bekommen hat.
Daß das Dezember Heft von Harden’s Zukunft hier confiscirt worden ist und daß Harden wegen Majestätsbeleidigung verklagt werden soll hast Du wohl schon erfahren. Ich || glaube aber nicht, daß er wegen des Aufsatzes „Herrscher-Erziehung“ verurtheilt werden kann.
Harden – erst 26 Jahre alt – ist ein feiner Kopf, ein ganz hervorragender Politiker und Schriftsteller, ein 2ter Aristophanes, wie er jeder Zeit in jedem Staate zum Wohl des Staates sein sollte. Wir, auch Frau, Tochter und Schwägerin lesen die Zukunft mit größtem Interesse.
Zum Schlußa noch meine leider sehr verspäteten, darum aber nicht minder herzlichen Wünsche für das angefangene Jahr mit vielen Grüßen an Agnes, Dich und Emma von uns 5
Dein treuer Ernst R.
a eingef.: Schluß