Reimer, Ernst

Ernst Reimer an Ernst Haeckel, Berlin, 5. Juni 1868

Berlin den 5ten Juny 1868

Liebster Ernst

Von dem Holzschneider Flegel erhalten wir eben aus Leipzig die Andrucke der beiden letzten sehr gut ausgefallenen Holzstöße zu Deiner Schöpfungsgeschichte; da wäre es nun Jammerschade, wenn Frommann auch diese im Druck so verschmieren und unkenntlich machen wollte, wie das leider bei den ersten Figuren sämmtlich geschehen ist. In der Voraussetzung nun daß auch Du solche Andrucke erhalten hast, wollte ich Dich bitten dieselben zugleich mit den Holzstößen dem alten || Frommann zu geben, daß man beim Druck sich darnach richte und sich alle Mühe gebe die Figuren möglichst übereinstimmend mit dem Andruck heraus zu bringen.

Sonst sind wir mit dem Druck und Fortgang desselben wohl zufrieden, und lesen die Aushängenbogen mit Freude und großem Interesse, obwohl uns Dein starker Anflug von Gottlosigkeit (was eigentlich noch gelinde ausgedrückt ist) wenig erbaut aber viel betrübt. Wenn Du nur glauben wolltest, daß 9 Zehntel des gebildeten Publikums, || welches sich für Wissenschaft interessirt und selbstständig denkt, wohl an den Gott aber nicht, (wie Pastor Knak), an die Bibel glaubt, so meine ich würde das Dir und Deinen Büchern sehr zum Vortheil gereichen, Du hättest dann kaum nöthig, Deine theologischen Ansichten zum Besten zu geben, Du hetztest dann nicht das scheinheilige und scheingläubige Gesindel gegen Dich auf und verhütetest somit, daß die besseren Leute, die sich sonst wohl mit Deinem wissenschaftlichen Standpunkt befreunden || sich dafür interessiren, und in Anerkennung desselben Dir förderlich sein könnten, von vornherein ohne zu prüfen gleich gegen alles Häckelsche eingenommen sind; so weiß ich z. Bs. daß man kurz nach Erscheinen Deiner Morphologie vorhatte, Dich zum corresp. Mitgl. d. Berliner Akademie zu machen, daß die Sache aber gleich unmöglich wurde, als der theolog. Skandal über dieses Dein Buch den Anfang nahm, was Dir übrigens auch als Preußenfresser [κατ έξοχην] ganz Schnuppe || a sein wird.

Da ist mir nun ein Haufen in die Feder gelaufen, was mir jetzt schon leid ist, und worüber ich Dich schon in Deiner sanften stillen Weise lachen höre; doch Nichts für ungut; weil’s der Schwager Deiner lieben kleinen Frau geschrieben, mußt Du’s so leicht und billig nehmen, wie’s auch mir in den Sinn gekommen. Grüße mir Deine Agnes unsere beste Mutter und alle Huschkes von Herzen. || Uns geht’s Allen gut; Marie hatte endlich heut nach ewig langem sehnsüchtigen Warten einen Brief von Clara, der guten braven Seele die ichb innigst grüßen lasse. Marie wird wahrscheinlich Mitte July mit den Kindern und einem Mädchen in Jena einrücken, möglich, daß auch ich mich im August auf ein paar Tage sehen lassen kann.

Treulichst

Dein Ernst Reimer

a gestr.: ist; b gestr.: Dich; eingef.: die ich

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
05.06.1868
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 21044
ID
21044