Friedrich Rolle an Ernst Haeckel, [Homburg vor Höhe], 19. November 1874
1874. d. 19 Nov. 1874
Geehrtester Herr Professor!
Erlauben Sie mir Ihnen meinen ergebensten Dank für Uebersendung Ihres schönen reichhaltigen Werks über Anthropogenesis zu sagen, ich traf es in Homburg bei der Rückkehr aus der Rheinprovinz u. werde es, sobald meine Dienstarbeiten beendet sind, gründlich studieren.
Ueber Vieles ist jetzt der Nebelschleier des Wunders weggezogen, für unsere Vorfahren gab es und für viele Zeitgenossen gibt es noch viel andere Wunder, denen man die Nebel-Glorie nicht abgezogen haben will. Das bei uns ehedem in Gebrauch gestandene Kirchenliederbuch von 1734 „Hessen-Homburgisches neu-vollständiges Gesangbuch“ gibt im Lied No 144 („Komm Heyden-Heyland, Lösegeld“) Vers 3. folgende ganz ernsthaft gemeinte Stelle
O Wunder, das kein Mensch versteht,
Daß eine Jungfrau schwanger geht!
Der Leib wird schwer durch Gottes Krafft
Doch unverletzt der Jungfrauschafft !
Anbei lege ich Ihnen noch ein anderes Wunder bei nebst Etiquette u. Ursprungs-Bescheinigung u. hoffe daß Sie ihm eine Stelle im academischen Museum anweisen können.
Hochachtungsvoll | empfiehlt sich | Ihr ergebenster
Dr. Fr. Rolle