Paul Rottenburg an Ernst Haeckel, o. O., 4. Februar 1915
4. Februar 1915
Herrn Geheimrat Professor Dr. Ernst Haeckel, Excellenz
Jena.
Liebster Freund!
Deine Zeilen vom 31. Dezember zu erhalten war eine grosse Freude, und ich danke Dir bestens dafür, schreibe heute durch unseren Mailänder Vertreter, Herrn Villani, und hoffe, Du benutzest entweder diese Mailänder oder die frühere Genua-Adresse zu einer gelegentlichen Zeile.
Dein Geburtstag naht heran, wie anders als im verflossenen Jahre!
Wir feierten Deinen Geburtstag auf dem herrlichen Irrawaddy und werden ihn in diesem Jahre in Trauer verleben, aber was nützen alle Commentare darüber? Lasst uns hoffen, dass ein günstiges Geschick ein früheresa Ende dieses schrecklichen Zustandes herbeiführt, als es heute den Anschein hat.
Deine früheren Briefe und Sendungen deren Du Erwähnung tust, sind wahrscheinlich in den Papierkorb eines Censors gewandert. Ich habe jedenfalls nichts weiter erhalten als eben Deine Zeilen vom 31. December.
Meine Frau hält sich gottlob so weit wacker, || aber die Aufregung ist stets gross und man hört so gut wie gar nichts von drüben.
Wenn Du an die Deinen schreibst, bitte grüsse sie herzlichst von mir. Ist es Dir möglich, nach Leipzig hinüber zu fahren, oder kommen die Leipziger Dich gelegentlich besuchen?
Unsere Aelteste hat jetzt Nachtdienst im Lazarett und schläft den Tag über zu Hause. Wir haben sie aber wenigstens Abends ein paar Stunden um uns.
Eine Reise nach Jena scheint mir heute eine absolute Unmöglichkeit für die nächsten 100 Jahre, und bei dem Wiedersehen im Jenseits können wir uns leider nicht aussprechen. Man kann nur die Toten beneiden, die dieses schreckliche Elend nicht mehr erleben. Gebe der Himmel, dass dieser Krieg früher aufhört, als es heute den Anschein hat, aber wie gesagt es erscheint mir die Zukunft wie ein undurchdringliches Chaos.
Mit herzlichsten Grüssen und Wünschen
Stets Dein!
Paul Rottenburg
Meine Nerven wollen nicht mehr! –
a irrtüml. doppelt: ein früheres