Paul Rottenburg an Ernst Haeckel, Glasgow, 6. November 1912
Paul Rottenburg.
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Rottenburg, Glasgow.
6 Nov. 1912
Liebster Freund!
Vielen herzlichen Dank für einen Brief nach Wiesbaden und den vom 1sten Dieses hierher. Schwester Röschen nachträglich die besten Wünsche zu ihren 70st. Geburtstag und mein wärmstes Beileid zum Verlust der letzten Schwester. Daß es Dir sowenig gut geht thut mir in der Seele weh und ich schäme mich meines Kleinmuthes und meiner Verzagtheit – kann sie aber unmöglich läugnen. Es ist gar zu gut von Dir mir Unwürdigen so liebevoll zuzureden aber fürs Erste kann ich an Reisen nicht denken. Schriftlich läßt sich das Alles nicht so klar legen – es wird mir Angst || bei dem bloßen Gedanken mich für eine Reise vorzubereiten. Wenn ich mir das unfertige Dalnair nicht zugelegt hätte – läge Vieles anders. Ich bin kein Amerikanischer Millionär und ich habe leider zu spät angefangen das einzusehen – verstehe aber es außerdem ganz und garnicht billig zu reisen und habe Hotel und Pension Leben in diesem Jahre mehr wie satt bekommen. Und dann ist der „Fluch der bösen That“ ganz im Geschäft aufgegangen zu sein. Ich kann mich garnicht beschäftigen. Lesen und Schreiben fällt mir schwer – Gehen kann ich nur sehr wenig und die Zeit in Franzensbad hat mich sehr herunter gebracht – daß ich die letzten || drei Monate nur noch vegitirt habe. – Das Geringste ermüdet mich. – So muß ich schon jedenfalls fürs Erste hier weiter vegetiren. –
Morgen verläßt uns Tochter II (Helen) und segelt Freitag von London nach Bombay. –
Der Balkan Krieg giebt mir viel zu denken und die ewige Diskussion über einen Krieg zwischen Deutschland und England macht mich unsagbar unglücklich. –
Entschuldige diese Jeremiade – ich will versuchen mich zu beßern.
Nochmals vielen Dank und herzliche Grüße von Haus zu Haus
Dein alter
Paul Rottenburg