Rottenburg, Paul von

Paul Rottenburg an Ernst Haeckel, Dalnair, 18. Juli 1909

Paul Rottenburg.

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Rottenburg, Glasgow.

Dalnair Juli 18. 1909

Liebster Freund!

Für zwei liebe Briefe vom 24 Mai und 6ten Dieses vielen herzlichen Dank! –

Daß Dir Baden-Baden so gut gethan hat ist herrlich und ich freue mich schon jetzt Dich wieder zu sehen. Sag mal ist unter obwaltenden Umständen nicht Chance Dich noch einmal herüber zu locken. Es wäre zu schön. – Im September will ich die „Chemische Industrie“ in Bonn mitmachen, habe dann eine Sitzung in Frankfurt a/M und würde dich selbst geleiten. Hier auf dem Lande würde es Dir gefallen. Im Motor hast Du Schottland noch nicht gesehen und das ist die einzige Art die wirklichen Schönheiten kennen zu lernen. – Im Mai „auto“te ich nach London zum Internationalen Chemischen Congreß und zurück. Es war eine Offenbarung. ‒ Von Glasgow bis London ein Garten der in der herrlichsten Frühlingsblüthe von Weiß- u Roth Dorn ‒ Goldregen Flieder und Rhododendren prangte. Schottland siehst Du im Herbstschmuck von || Heidekraut. Ueberleg es!

Lisbeths Erwartungen sind ja sehr erfreulich. Mögen ihre Wünsche in Erfüllung gehen. Laß’ mich seiner Zeit, bitte, per Karte wissen! Im Geiste wallfahre ich nach allen Plätzen wo Wunder geschehen sind und erbitte eine kräftigen Großsohn für Dich ‒ der ein zweiter Ernst Haeckel wird. Hoffentlich versteht mich die Jungfrau nicht „miß“. ‒

Tante Ida ist gestern nach Berlin gegondelt wo sie ein Mädchen Lesekränzchen von vor 100 Jahren zusammengetrommelt hat. Die Freundinnen haben sich ‒ wenigstens Einzelne derselben nicht seitdem gesehen.

Von meinen Kindern war nur die Jüngste zu Haus und da ich Mutterstelle vertrete ging ich mit ihr heute sogar zur Kirche. ‒‒ Die Predigt „trifte“ vom Blute Christi ‒ die billigste Art von „Ablaß“ die man sich denken kann. Von Vernunft auch nicht das Atom!

Sehr bewegt hat mich das schwere || Unglück, welches einen Vetter von mir betroffen hat. Er war Privatdocent (Philosophie) studirte dann Chemie heirathete eine Quakerin in Newcastle und schreibt seit einigen Jahren neben seiner geschäftlichen Thätigkeit. Sein 27jähriger Sohn Soliciter in London ‒ reizender Mensch ‒ dinirt mit einem Freunde ‒ kehrt in sein Logis zurück und erhängt sich mit einem Bettlacken an der Thüre. ‒ Kein Schlüßel irgend welcher Art! Gewöhnlich geht doch Schwermuth voraus. ‒

Viele herzliche Grüße an Schwester Röschen. ‒

Stets Dein

Paul Rottenburg

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
18.07.1909
Entstehungsort
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 20087
ID
20087