Rottenburg, Paul von

Paul Rottenburg an Ernst Haeckel, Glasgow, 16. Dezember 1878

Glasgow 16/12. 78.

Lieber Freund! –

Mich Ihnen gegenüber wegen meines krassen Undankes entschuldigen, wäre die reine Mohrenwäsche und so will ich den Versuch lieber garnicht erst machen, sondern constatire einfach das Factum und baue auf Ihre liebenswürdige Nachsicht und Großmuth, die mir armen Sünder hoffentlich vergiebt. Gefreut habe ich mich über alle Ihre Zusendungen || ganz unbändig – ganz speziell aber über die Antwort auf Virchow’s Rede, – sie machte mich oft bewundernd und dankbar zu Ihrem lieben Bilde aufblicken und ich wiederhole Ihnen hiermit schriftlich diesen Dank aus vollstem Herzen.

Hoffentlich ist es Ihnen und Ihren Lieben Allen 1878 recht gut ergangen und Sie können Sich einer ungestörten Weihnachtsfreude hingeben. Aus der Zeitung ersah ich daß Sie im August in Paris waren. || Uns ist esa nur so ziemlich ergangen; – im Mai nahm ich meine ganze Familie nach Oeynhausen, wo meine Frau ihre Mutter traf und 4 Wochen gegen Rheumatismus badete. Ich ging über Paris nach Hause zurück, verbrachte Juni Juli in junggesellenhafter Zurückgezogenheit und holte im August die Meinen aus Zoppot wieder ab. Während wir hier das herrlichste Wetter der Welt hatten, – einen Sommer wie er seit Menschengedenken nicht schöner gewesen, – berichtete || meine Frau fortwährend über Regen & Kälte. In Oeynhausen bekamen die beiden Jüngsten aegyptische Augenkrankheit – in Zoppot Nr. 2 Malariafieber und auf der Rückreise hielt uns Nr. 1 8 Tage in Berlin im Hotel auf mit Halsentzündung und zwang mich zu der beschwerlichen Landreise, in Stelle der beabsichtigten Tour über Hamburg. Hier bei uns muss man immer Vorrath guter Gesundheit anlegen für den Winter und das ist || uns bei all’ dem Unwohlsein der Kinder nicht gelungen; – sie sind denn auch jetzt abwechselnd an Bett oder Stube gebunden mit Erkältung, Leberleiden und dgl. mehr und machen der Mama öfters das Herz schwer daß sie nicht in Deutschland leben und deutsche Aerzte consultiren kann. In Oeynhausen hatte sie ihr Herz an den Ihnen wahrscheinlich bekannten Dr. Braun gehängt, der leider im September starb. –

Seit Anfang October dreht || sich hier nun Alles um die City of Glasgow Bank Affaire; jeder Tag bringt neue Falissements und deckt neuen Betrug und Diebstahl und frisches Elend auf. Die Haupt Diebe sind lauter ehrwürdige Kirchenväter und gehören der strengsten schottischen Secte: der free church, an; Einer derselben, der die Kleinigkeit von 50 Millionen Mark von der Bank geborgt und verloren hat, ist jeden Sonnabend von London nach Glasgow || gereist nur um in einer Sunday School zu unterrichten! Sechs Directoren sitzen seit fast zwei Monaten und heute haben sie einen Schuldner der Bank, der 8 Millionen Mark schuldet, – seit 10 Jahren hoffnungslos bankrott ist, aber immer en grand Seigneur gelebt hat, dazu gesteckt. Ein Anderer hat seit Jahren ₤ 200 per Jahr an die Kirche gegeben, – wie sich jetzt herausstellt aus den Taschen seiner Gläubiger. Man könnte wirklich psychologische || Studien an diese Enthüllungen anknüpfen – desgleichen Betrachtungen über den Werth der Religion, Sonntagsheiligung etc. – Die ärmsten Aktionaire der Bank müssen jetzt als Weihnachtsbescherung ein Deficit von 120 bis 140 Millionen Mark decken und das heißt natürlich für jeden der Betheiligten vollständiger Ruin.

Entschuldigen Sie, bester Freund, daß ich Ihnen so viel des Unerquicklichen vorklage; es fehlt aber leider gänzlich an jedem anderen Stoff – die Freude scheint || der Welt den Rücken gekehrt zu haben. –

Ich sandte heute meinen kleinen Freunden Lisbeth, Walter und Emmachen die illustrirten Weihnachtszeitungen und hoffe sie gefallen; zürnen Sie mir nicht wenn sich auch etwas Marmelade und Bisquits nach Jena verirren – die separat gesandten 2 Kästchen „leaflet bisquits“ eignen sich vielleicht in der Botanik zur Veranschaulichung und Einprägung || der Blätterformation für die lieben Kinder. –

Einliegend unsere 3 Pflänzchen im August in Danzig auf Papier gebracht – Nr. I besucht seit November die Schule Nr. II ist Kindergartenpflanze. –

Meine Frau grüßt Sie und leider unbekannter Weise Ihre liebe Frau und die Kinder bestens und ich verbinde mit den herzlichsten Grüßen an diese wie auch an Ihre Frau Schwiegermutter und Schwägerin den Wunsch daß Sie das Weih-||nachtsfest recht recht froh begehen mögen, und Alle gesund das neue Jahr beginnen. –

Ihr treu ergebener

Paul Rottenburg

Ich habe den 3ten Theil Kosmos unterwegs und hoffe ich finde Viel darin von einem gewissen E. H. –

Einige brillante Spaziergänge habe ich diesen Sommer gemacht und habe Sie oft || hergewünscht – bei solchen Wetter wie wir es diesen Sommer hatten ist Schottland das reine Paradies. –

a irrtüml.: uns

 

Letter metadata

Gattung
Empfänger
Datierung
16.12.1878
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 20013
ID
20013