Paul Rottenburg an Ernst Haeckel, Glasgow, 22. Oktober 1905

Holmhurst,

Dowanhill Gardens,

Glasgow

22 Oct. 1905.

Liebster Freund!

Besten Dank für Deinen lieben Brief vom 19ten! Aber! Daß es Dir so wenig Gut geht thut mir aufrichtig leid. Wir haben hier auch einen so jähen Wechsel gehabt daß alle Welt klagt und ich zwei Tage wie ein zusammengeklapptes Rasiermesser mit Lumbago herum humpelte. – Aber Dank der Diagnosis meines früheren Londoner Arztes (Gallenstein) und der famosen homoeopathischen Medizin meines hiesigen Berathers war die Sache wie weg geblasen und das in 48 Stunden. ||

Dir ist es in Baden-Baden grade so gegangen wie meinem Bruder: „Uebermaß von Behandlung.“ Er schimpfte seiner Zeit wie ein Rohrspatz auf den betreffenden Baden-Badener Arzt und erholte sich sehr langsam. Aber trotzdem wollt Ihr Beide Nichts von Homoeopathie wissen! Ach koennte ich Eucha doch bekehren und Dich von meinem Hiesigen behandeln lassen. Er hat mir für diverse Beschwerden grade zu phaenomenal geholfen. Mein Bruder bleibt aber dabei es sei Quacksalberei. –

Eh bien! Nenn’s „Quack“, nenn’s Humbug – nenn’ es wie Du willst. Das Wohlsein bei der Behandlung ist Alles! – ||

Kann ich irgend Etwas für Dein leibliches Wohl thun – so bilde ich mir ein – nicht umsonst gelebt zu haben. –

Laß’ mir also diese Freude! Von Dir wird einst die Welt sagen: „Es gibt nur eine lebendige Natur u. Haeckel ist ihr Prophet.“ Du hast Unzählige von den Ketten traditionellen Aberglaubens und Priesterherrschaft befreit und dem Propheten nahe gestanden zu haben ist mir mehr als ich aussprechen kann. Laß mich also für Dein leibliches Wohl ein Wenig sorgen und „Grolle nicht“. – So sandte ich Dir gestern per einge||schriebenem Brief eine Kleinigkeit schon zu Weihnachten – die Dir Scherz machen soll. Behalte ich es hier, vergeße ich es später. Das Harris Tweed ist bestellt und Dein Ueberzieher ist einem meiner Commis übergeben, der gestern von Leith nach Hamburg segeln sollte. – Der Dampfer hat aber ob einer Reparatur Verspätung – und Du mußt einige Tage länger warten. Der Commis wird ihn Dir von Hamburg zusenden und ich hoffe er paßt. Er wird sich als Dein „wärmster“ Freund bewähren.

Das viel verschrieene Schottland hat schönes || Winterwetter und scheint mit dem Continent Rollen gewechselt zu haben. –

Bei der Kälte liegt mir Frau u. Töchter fortwährend in den Ohren u. will zurück nach Egypten. Verdenken thue ich es ihnen nicht, kann heute aber noch nicht „Ja“ sagen. –

Für die angekündigten „Wanderbilder“ im Voraus besten Dank! Fällt mir sonst irgend ein Wunsch ein, so thue ich ihn Dir brüderlich kund. –

Vielleicht ist Dir einliegende kleine Skizze aus || der Scottish Review neu. Ich stimme jedenfalls in das „Hoch“ mit vollem Herzen ein.

Viele herzliche Grüße von Haus zu Haus und Dir schnelle Besserung

Immer

Dein

Paul R. –

Haeckel in Frankfurt von P R aufgenommen folgt demnächst. –

P.R.

a eingef.: Euch

Brief Metadaten

ID
19970
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Vereinigtes Königreich
Datierung
22.10.1905
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
6
Umfang Blätter
6
Format
12,8 x 20,4 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 19970
Zitiervorlage
Rottenburg, Paul an Haeckel, Ernst; Glasgow; 22.10.1905; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_19970