Magnus Hirschfeld an Ernst Haeckel, Berlin, 6. Mai 1912
DR. MED. MAGNUS HIRSCHFELD
SPEZIALARZT
FÜR NERVÖSE U. PSYCHISCHE LEIDEN.
BERLIN N.W. 6.5.12.
Ew. Exzellenz
frdl. Sendung fand ich, soeben von meiner Reise zurückgekehrt, vor und möchte Ihnen hierdurch aussprechen, dass Sie mir durch die Uebersendung der so wertvollen und hochinteressanten Werke eine ausserordentlich grosse Freude bereitet haben, ebenso durch die überaus gütigen Worte, mit denen Sie die Sendung begleiteten.
Die Stellen Ihrer Anthropogenie, auf die mich hinzuweisen Sie die Güte hatten, sind, da sie für mein spezielles Forschungsgebiet besonders in Betracht kommen, von grossem Wert für mich.
Ich erblicke in ihnen wertvolle Hinweise für weiteres wissenschaftliches Forschen auf diesem nach so zahlreichen Richtungen und Beziehungen hin zu ergründenden Wissensgebiet, dessen Erschliessung || im Geiste des Ihr wissenschaftliches Schaffen charakterisierenden Strebens, empirische Forschungsergebnisse den grossen Zusammenhängen des Naturgeschehens einzureihen, meine Lebensarbeit, soweit meine Kräfte ausreichen, gewidmet sein soll.
Falls ich mir bezüglich Ihres Aufsatzes über Gynäkomastie eine Anregung erlauben darf, so würde ich es mir natürlich zur ganz besonderen Ehre anrechnen, wenn Sie denselben in der von mir herausgegebenen Vierteljahrschrift, den „Vierteljahrsberichten des Wiss.-humanitären Komitees“, die eine Fortsetzung der „Jahrbücher für sexuelle Zwischenstufen“ darstellen, erscheinen lassen wollten.
Die Stunden, die ich bei Ihnen in Jena verleben durfte, rechne ich zu den bleibendsten Er||innerungen meines Lebens und wünsche nichts lebhafter, als dass mir noch öfter Gelegenheit geboten sein möchte, wie damals aus persönlichem Beisammensein mit Ihnen in reichstem Masse Belehrung und Anregung zu schöpfen.
Als Zeichen meiner Dankbarkeit erlaube ich mir, Ihnen einige meiner letzten Arbeiten, nämlich 2 Bände über Transvestitismus und eine kleine Monographie über einige interessante Geschlechtsumwandlungen zu übersenden in der Hoffnung, dass Sie auch diesen Schriften Ihr gütiges Interesse nicht versagen werden.
Mit verehrungsvollster Empfehlung und dem Ausdruck meiner größten Hochachtung bleibe ich
Ew. Exzellenz
sehr ergebener
Dr. M. Hirschfeld