Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Luise Hilger, Jena, 30. Oktober 1917

Jena 30.10.17.

Liebe und hochverehrte Freundin!

Gestern erhielt ich aus Leipzig die ersten gedruckten Exemplare meiner „Kristallseelen“ und habe mich beeilt, Ihnen sofort das erste derselben unter „Drucksache“ zu übersenden.

Heute morgen brachte die Post das angekündigte Paketchen mit den mÿsteriösen „Anguilla spicata quarta“, auf welche meine fetthungerige Kriegs-Gastrula sich schon mehrere Tage besonders gefreut hatte. Leider war diese Vorfreude vergeblich; die kostbare Sendung enthielt „Horror Vacui“ – Luft und etwas Papier! –

Meine kluge Köchin, die das leere Paketchen vom Postboten in Empfang nahm und sogleich erkannte, daß es nicht 1Kilogramm wog (wie auf der Adresse angegeben), öffnete es in dessen Gegenwart. || Es wog nur 25gr. An der Seite war die Umhüllung eingeschnitten und durch den schmalen Schlitz der edle Schlangen-Fisch geschickt herausgezogen!! Ich habe den Befund sofort unserem Postdirektor angezeigt; aber das wird Nichts helfen. Wahrscheinlich hat die „Fischseele“ sich so über die Publikation der „Kristallseele“ und „Zellseele“ gefreut, daß sie den „Rohen Materialismus“ aufgegeben und [sich] in das spirituelle „Nirwana“ zurückgezogen hat (– oder in die „Gastrula“ eines Postbeamten!)

– Falls Sie später einmal mich durch irgend eine gastronomische Zusendung erfreuen wollen, wird es in dieser Räuberzeit des „Christlichen“ Bruderkrieges (– wo bald „Alles aufhört“! –) gut sein, das Paket mit „Nachnahme“ oder „Einschreiben“ zu senden. –

Alles Weitere in nächster Woche! Heute nur noch in Eile

Herzlichsten Dank und Gruß von Ihrem

alten Ernst Haeckel

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
30.10.1917
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Unbekannt
ID
19449