Focke, Wilhelm Olbers

Wilhelm Olbers Focke an Ernst Haeckel, Bremen, 28.April 1914

Dr. W. O. Focke

Bremen

Beim Stein. Kreuz 5

28. April 1914.

Mein lieber alter Freund!

Vor einigen Tagen wurde ich durch Deine schöne Zusendung, insbesondere durch Deine freundlichen Zeilen vom 20. d. M. erfreut. Ich hätte nicht erwartet, dass Du bei der grossen Zahl der Begrüssungen zum Achtzigerfeste schon zu einem Schreiben an mich kommen würdest, da ich wohl zu sehr an meine eigene Langsamkeit denke. Ich habe inzwischen auch die Grenzlinie der 80 überschritten und glaube mir damit ein Privilegium zum „Otium“ oder auf gut deutsch zur Faulheit erworben zu haben. Als mit Hülfe von Frau und Tochter die gedruckten Danksagungen versandt waren, fühlte ich mich vorläufig „ledig jeder Pflicht“, denn die versprochenen späteren „persönlichen“ Danksagungen sind ja an keinen Termin gebunden. ||

Ich schicke Dir anbei noch ein Bildnis-Heft, welches meine Frau ganz nach dem Muster des von Deinem Sohne entworfenen hat anfertigen lassen. Trotz Beihilfe von Prof. Bitter, unserm Botaniker (vor 20 Jahren Deinem Schüler), ist die Sache etwas übereilt zu Stande gekommen; einiges ist sich zu ähnlich, anderes fehlt.

Zum ersten Male habe ich einen Sommer vor mir, in dem ich weder durch Amts- und Berufspflichten, noch durch schriftstellerische oder Vereinsarbeiten irgendwie gebunden bin. Da möchte ich denn gern auch alte Freunde aufsuchen, namentlich Dich und Krabbe. Vorläufig bin ich ja noch mobil und in meinen Bewegungen wenig gehindert. Zunächst will ich freilich den Besuch meiner Tochter aus Württemberg abwarten, die an die See gehen will. Ich denke mit ihr auf Vangeroog zusammen zu sein. Weiter reichen aber meine nächsten Pläne nicht. Die nächsten Monate (nach Mitte Juni) werden mir hoffentlich Besuche in Jena und Kopenhagen ermöglichen.

Wenn man im Leben nur auf die Gefährten aus der Jugendzeit angewiesen wäre, würde man in unsern Jahren sehr vereinsamen. a Dieb Altersgenossen werden || sparsam, so dass ich mich vergebens besinne, ob ich Dir noch von hiesigen Bekannten berichten kann. Allmers, Strube, Dreier, Kottmeier, Fitzer – alle sind dahin. Wohl verkehre ich noch in freundschaftlicher Erinnerung mit den hinterbliebenen Frauen; in höherem Alter pflegt das weibliche Geschlecht widerstandsfähiger zu sein.

In meiner ziemlich zahlreichen Familie geht es im Grossen und Ganzen gut, wenn auch natürlich im einzelnen bald hier, bald da Sorge und Kummer sich einstellen. Hoffentlich kannst Du ähnliches sagen. Lass uns das Gute, was wir noch im Leben besitzen, geniessen, so weit wir es vermögen. Und zum Schluss nochmals herzlichen Dank für Deine lieben Zeilen und alle Deine freundlichen Zusendungen! Bitte auch Deine Frau, einen freundlichen Gruss von mir entgegennehmen zu wollen.

In alter Freundschaft

Dein W. O. Focke.

a gestr.: Aber; b korr. aus: die

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
28.04.1914
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 1907
ID
1907