Focke, Wilhelm Olbers

Wilhelm Olbers Focke an Ernst Haeckel, Bremen, 15. Februar 1907

Stein. Kreuz 5, Bremen

25. Febr. 07.

Lieber alter Freund!

Die 73 nimmt in unserm dekadischen Zahlensystem keine besonders auffallende Stellung ein. Und auch in einem andern Zahlensystem würde sie als eigensinnige Primzahl keine Rolle spielen. Wenn trotzdem gerade Deina 73. Geburtstag besonders gefeiert werden sollb, so zeigt das, wie allgemein das Bedürfnis ist, Dir Ehrungen und Freundschaftsbeweise entgegenzubringen. Nun möchte ich natürlich nicht unter denen fehlen, die Deiner mit den herzlichsten Glückwünschen gedenken. Aus Deinem neulichen Schreiben ersehe ich, daß es Dir leidlich geht; wir alle machen die Erfahrung, || daß unser Körper nach 7 Dezennien mehr oder minder schadhaft und abgängig wird. Wenn man seine Ansprüche genügend herabstimmt, pflegt es aber meistens noch eine Zeitlang fortzugehen. In Italien wird nun wohl hoffentlich Dein Hauptgeschäft das dolce far niente sein; jenseits der Alpen gewöhnt man sich leichter an sein otium cum dignitate als zu Hause, wo man noch Lebensarbeit für weitere 73 Jahre um sich sieht.

Zunächst möchte ich Dir meinen herzlichen Dank sagen für Deine freundlichen Zeilen, die Du mir aus Anlaß meines Doktorjubiläums gesandt hast. Das Bemerkenswerte an diesem Gedenktage war doch der Umstand, daß ich ihn mit meinen beiden Freunden gemeinsam || feiern konnte, mit denen ich schon 1855 eine kleine Flora Bremen herausgegeben hatte. Der Aerztliche Verein hat uns in einem Festcommers gefeiert, von dem wir erst um 3 Uhr aufbrachen; am Abend vorher hatte ich die Hochzeit meines Sohnes gefeiert. Einige Tage später vereinigte mein Schwiegersohn Sattler uns mit unsern Kindern und Enkeln in seiner Wohnung zu einem gemütlichen Familienfeste. Kottmeier erfreute sich in denselben Tagen der Geburt eines Enkels – kurz, es häuften sich für uns die erwünschten Ereignisse, während ich in früheren Jahren nicht viel Glück bei der Feier von Gedenktagen gehabt habe.

Interessiert hat mich auch Dein neues Bild, von dem Du mir freundlichst einen || Abdruck geschickt hast. Ich finde die Auffassung des Künstlers sehr anziehend, aber, offen gestanden, nicht gerade charakteristisch. Ich wurde dadurch an ein Haus in Freiburg im Breisgau erinnert, an welchem in goldenen Buchstaben die Inschrift stand (vielleicht noch steht): „Himmelan strebe Du, Mensch“. Es stimmt das nicht so ganz zu einem Manne, der da zu denken gewohnt ist: „aus dieser Erde quellen meine Freuden.“ Aber ansprechend ist das Bild doch.

Zu dem Phylogenetischen Museum darf ich Dir wohl ganz besonders meinen Glückwunsch sagen; die Begründung desselben halte ich für einen vortrefflichen Gedanken, zumal da die Phylogenie doch eigentlich im Mittelpunkte Deiner Lebensarbeit steht.

Und nun Glückauf für die folgenden Lebensjahre! Und zunächst eine kleine Nachlese von Jugendkraft und Jugendfrische in Italien.

Herzlichst Dein W. O. Fockec

a korr. aus: der; b eingef.: soll; c Text weiter am linken Rand von S. 4: Nachlese … Focke

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
15.02.1907
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 1886
ID
1886