Focke, Wilhelm Olbers

Wilhelm Olbers Focke an Ernst Haeckel, Bremen, 27. April 1869

Bremen, 27. April 1869.

Mein lieber Freund!

Kürzlich habe ich die Separatabdrücke meiner kleinen Aufsätze, die in der Jenaischen Zeitschrift publicirt sind, erhalten. Hoffentlich bin ich im nächsten Jahre im Stande, einen bedeutenderen Beitrag zu liefern. – Meine Zusammenstellung von Aussprüchen aus Treviranus Biologie wirst Du s. Z. erhalten haben, vielleicht noch früh genug um eine Notiz über T.‘s monistische Anschauung in die zweite Auflage Deiner Natürlichen Schöpfungsgeschichte aufzunehmen. Für die übersandten Tafeln aus diesem Werke meinen besten Dank; übrigens mußt Du nicht glauben, wir seien hier in Bremen so sehr von aller Civilisation abgeschnitten, daß ich nicht schon längst vor Neujahr Kenntniß davon gehabt hätte. Ich habe mir die erste Auflage gleich nach dem Erscheinen angeschafft; auch dürften außerdem noch ziemlich viele Exemplare hier in Bremen geblieben sein. Dr. Romberg besprach das Werk in sehr anspre-||chender Weise in einem Feuilletonartikel der Weserzeitung. Natürlich wird mir ein Exemplar der zweiten Auflage als Geschenk aus Deiner Hand immer sehr willkommen sein und ein wertvolles Andenken bleiben.

Dein Walter macht Dir gewiß jetzt viel Spaß; bei den halbjährigen Kindern geht die Entwickelung außerordentlich rasch. Es ist mir immer sehr anziehend gewesen, Kinder zu beobachten; es ist leicht eine ganze Reihe von Thatsachen wahrzunehmen, welche eigentlich gar keine Beachtung gefunden haben. Es ist offenbar, daß es angeborene Vorstellungen bei den Kindern giebt, und daß daher der Satz nihil est in intellectua, quod non antea fuerit in sensu keineswegs unbedingt richtig ist. – Mein Töchterchen wird jetzt schon bald zwei Jahre alt und denkt, spricht und handelt nun längst ganz analog einem Erwachsenen.

Mein Bruder scheint leider recht menschenscheu zu sein und namentlich Leute von etwas reiferem Alter als das seinige ist, ängstlich zu vermeiden. Selbst Schäffer, der ihm für eine Blitzröhre sehr dankbar ist, besucht er nur nothgedrungen.

In diesem Frühjahr habe ich meine Schwiegermutter und meinen Onkel Tölken, beide nach kurzer || Krankheit an Pneumonie verloren. Vielleicht hast Du durch meinen Vetter. den stud. med. T., davon gehört. Tölken stand mir in vieler Beziehung sehr nahe und bleibe ich ihm für manches Gute, was er mir gethan hat, verpflichtet. Meine Frau entbehrt die Mutter sehr, ist aber eine kräftige und tüchtige Natur, die auch schwere Prüfungen überwindet.

In Folge der erwähnten Ereignisse habe ich in den letzten Wochen sehr zurückgezogen gelebt und wenig Menschen gesehen. Allmers begegnete mir vor einigen Tagen auf der Straße, vierschrötiger als je, einen Band Kunstgeschichte unter dem Arm; er trug mir einen herzlichen Gruß für Dich auf. Strube soll ein sehr zärtlicher Vater sein; gesehen habe ich ihn lange nicht. – Kottmeier ist vor einiger Zeit durch die Geburt eines zweiten Söhnchens – des ersten Kindes seiner jetzigen Frau – erfreut worden. Sein Vater, d.h. der Senator Kottmeier, hat Deine Generelle Morphologie zum Gegenstande seiner Studien gemacht und will nächstens im Naturwissenschaftlichen Verein darüber sprechen. Ich erwähne das Factum um zu zeigen, wie weit in Dillettantenkreisen sich das Interesse für Deine Forschungen erstreckt. ||

Der warme, sonnige April diese Jahres hat die Vegetation außerordentlich weit entwickelt; zu meinem Bedauern bin ich wenig zu Ausflügen in’s Freie gekommen. Meine Pflanzschulen und Sämlinge versprechen indeß, sich befriedigend zu entwickeln, vorausgesetzt, daß der Regen nicht allzu lange auf sich warten läßt. Bei den Brombeeren muß man einige Geduld haben, denn ein Samenkorn liefert in der Regel erst nach vier Jahren wieder Blüthe und Frucht. Behalte ich nur Zeit und Gelegenheit, meine Culturen und Experimente fortzusetzen, so müssen sie schließlich doch zu positiven Resultaten führen. – Nebenher treffe ich auch Vorkehrungen, um gelegentlich Hybridisationsversuche mit anderen Pflanzen zu machen. Aber auch dazu gehört Zeit, denn es gelingt nicht immer, sofort die rechte Sorte anzuschaffen, welche man zum Experiment bedarf. Dazu kommt noch, daß mein Versuchsgarten eine volle Meile von meiner Wohnung entfernt liegt, und daß ich daher viel zu selten dort sein kann, um alle vorbereiteten Experimente correct ausführen zu können.

Eigentliche Sommerpläne habe ich noch nicht gemacht, doch b glaube ich nicht, daß ich Gelegenheit zu größeren Reisen finden werde. Ich muß die Zeit benutzen, um mir meine Praxis etwas zu vergrößern; nach einer allzu umfangreichen sehne ich mich freilich durchaus nicht.

Es soll mich freuen, wenn ich höre, daß es Dir und den Deinigen gut geht. In alter Freundschaft grüßt dich herzlich

Dein W. O. Focke. (Altenwall 4)

a korr. aus: mente; b gestr.: hoffe

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
27.04.1869
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 1846
ID
1846