Jodl, Friedrich

Friedrich Jodl an Ernst Haeckel, Wien, 15. Januar 1907

Wien d. 15. Januar 1907.

Hochverehrter Herr Kollege!

Heute komme ich zu Ihnen mit einer Bitte im Interesse unserer Wiener volksbildnerischen Veranstaltungen, des Wiener Volksbildungs-Vereins u. des Wiener Volksheims, das als eine Art Volks-Universität, die Arbeit des ersteren Vereins fortführt u. ergänzt. Die erfreuliche Entwicklung dieser Einrichtungen – doppelt erfreulich auf || unserem von Finsterlingen so schwer bedrohten Boden, läßt aber immer wieder die Frage nach Beschaffung der notwendigen Mittel an uns herantreten, zumal da sich die Großgemeinde Wien aus bekannten Gründen gegen diese Bestrebungen wenn nicht feindlich, so doch passiv verhält. – Wie schon in früheren Jahren denken wir auch heuer an die Veranstaltung eines Vortrags-Zyklus, nicht fürs Volk, sondern für die Gebildeten u. Zahlungsfähigen, aber zu Gunsten unserer volkstümlichen Einrichtungen. Wenn Sie, hochverehrter Herr Kollege, den Klang Ihres Namens u. die Kraft Ihrer Rede uns zu diesem Zwecke leihen || u. einen Vortrag in diesem Zyklus übernehmen wollten, würde das für unsere Sache einea große Förderung bedeuten. Die Wahl des Themas stünde ganz bei Ihnen: was immer Sie bringen, sei es naturwissenschaftlich, naturphilosophisch oder noch allgemeineren Inhalts, wird aufmerksame, begeisterte Hörer finden. Als Zeitpunkt wären wohl die Wochen zwischen Fastnacht u. Palmsonntag am geeignetsten, u. um diese Zeit dürften auch Sie am ehesten abkommen können. Wir sind naturgemäß mit Rücksicht auf den humanitären u. sozialen Zweck der Veranstaltung außer Stande Ihnen ein Honorar anzubieten, welches dem Werte dessen, was Sie uns geben würden, || nur halbwegs proportional wäre. Aber wir können natürlich zu dem Opfer, welches wir ohnedies von Ihnen erbitten, nicht auch noch Geldopfer von Ihnen heischenb u. gestatten uns daher Sie zu ersuchen, den Betrag von 300 Kronen als Reiseentschädigung anzunehmen. Würde ich nicht von Ihrer jugendlichen Frische u. Tatkraft wissen, so würde ich nicht gewagt haben, Ihnen diese Bitte vorzutragen: so aber habe ich die stille Hoffnung, daß Sie der Gedanke reizt, einen Eroberungszug auf Wiener Boden zu machen. In dieser Hoffnung begrüße ich Sie herzlich im Namen der vereinigten Ausschüsse des Volksbildungsvereins u. des Volksheimes u. bleibe

Ihr sehr ergebener

FrJodl.

a korr. aus: einen; b gestr.: annehmen; eingef.: heischen

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
15.01.1907
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 18445
ID
18445