Tille, Alexander

Alexander Tille an Ernst Haeckel, Glasgow, 14. Februar 1894

10 Sardinia Terrace

Hillhead

Glasgow

14.2.94

Hochverehrter Herr Professor!

Zu Ihrem Geburtstag meinen allerherzlichsten und aufrichtigsten Glückwunsch! Wenn Sie, was ich Ihnen hiermit wünsche, in zwanzig Jahren den achtzigsten feiern, dann komme ich persönlich nach Jena und überbringe Ihnen den Gruß aller Sozialaristokraten Deutschlands.

Als William Stead 1890 sein Buch über || das Oberammergauer Passionsspiel herausgab, da nannte er es The Story that transformed the World. Darüber, daß es in der Gegenwart die Entwicklungslehre sein wird, die die Welt noch einmal ein wenig umbildet, oder wenigstens die Verhältnisse der 1500 Millionen Menschenleben, die wir komischerweise die Welt nennen, kann heute doch wohl kein Zweifel mehr sein. Hat sie doch längst über die Naturwissenschaft hinausgegriffen und ist eben im Begriff die Weltanschauung der Gegenwartsmenschen auf den Kopf zu stellen. Und wem wir das im Wesentlichen verdanken, daß aus den Arbeiten Darwins das erwachsen ist, das brauche ich Ihnen ja nicht erst zu sagen. ||

Für Ihre liebenswürdige Sendung vom 22. Januar danke ich Ihnen erst heute. Ich hatte geglaubt, Sie hätten vielleicht noch Sonderabzüge der beiden Vorträge, und nun sind zwei ganze Bände gekommen. Sie haben mir damit viel mehr gegeben, als Sie wissen können. Die Lektüre der beiden Bände hat mir nämlich wieder Mut gemacht, daß ich unnaturwissenschaftlicher Philologe doch schließlich auch fähig bin, Einzelfacharbeiten aus der Naturwissenschaft zu verdauen. Ich habe Ihnen wohl schon einmal geschrieben, daß mir die Spezialkenntnis eines auch noch so kleinen naturwissenschaftlichen Gebietes leider abgeht und daß ich mich darum immer mehr daran habe halten müssen, was aus zweiter Hand zu haben war.

Das Buch von Ziegler „Naturwissenschaft und socialdemokratische Theorie“ kenne ich noch nicht. Ich habe erst von Ihnen davon gehört. Ich lasse mirs aber kommen, sobald ich im Sommer wieder || nach Deutschland komme.

Eben habe ich meinem Freunde Harden eine hübsche Arbeit Huxleys über „Die natürliche Ungleichheit des Menschen“ für seine „Zukunft“ versorgt. Auf diesem Boden geschieht für die Entwicklungslehre noch zu wenig. Die Fachleute scheuen sich noch zu sehr, mit ihrem Wissen in die wirklich gelesenen Zeitschriften hinabzusteigen. Und doch ists der beste Weg, um wirklich an das lesende Publikum zu gelangen.

Vor vierzehn Tagen hat mir meine Frau einen kleinen Sozialaristokraten geschenkt. So sind wir nunmehr unsera drei. Sie sendet Ihnen ebenfalls einen herzlichen Glückwunsch.

Also über zwanzig Jahre!

Mit der herzlichsten aufrichtigsten Verehrung

Ihr

ergebenster

Dr. Alexander Tille

a korr. aus: unserer

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
14.02.1894
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 18272
ID
18272