Straßburg 24. April 1875
Lieber Freund
Ich bin schon seit fast 14 Tagen von Neapel zurück und hätte Dir gleich geschrieben, wenn ich nicht annehmen müßte, Du weiltest noch, wie ich gerüchtweise gehört, in Corsica. Auch wird mir diesmal der Brief an Dich etwas schwer. Wie so? wirst Du gleich erfahren.
Du weißt, daß ich Deine Gastrula der Kalkschwämme rückhaltlos angenommen. Ich gieng mit der vollsten Zuversicht nach Neapel, dort mit Leichtigkeit mich von der Unrichtigkeit der Metschnikoffschen Mittheilungen überzeugen zu können. Das Resultat sehr sorgsamer und vielfältig repetirter und controllirter Untersuchungen ist das Gegentheil gewesen. Ich habe die bombenfeste Ueberzeugung gewonnen, daß bei Sycandra raphanus, Sycandra glabre und bei Arietta clathrus die Gastrula nicht existirt und Deine Darstellung || ist mir geradezu unbegreiflich. Eine Einwendung, daß ich falsch gesehen, kommt nicht auf, und es ist mir nichts anderes übrig geblieben, als meine objektiven Beobachtungen der Zeitschrift für Zoologie zu übergeben. Da auch bei den Kieselspongien gar keine Rede von einem Gastrula-Zustand, so kannst Du ermessen, in welcher peinlichen Situation ich war und bin und welches Frohlocken durch die ansehnliche Reihe Deiner u. meiner Gegner gehen wird.
Außerdem ist eine Arbeit über Loxosoma fertig geworden, deren vermeintliche Krustenbildung eine sehr schöne Eientwicklung ist. Kowalewskys Arbeit ist unter aller Kritik.
Nachdem ich einen Einblick in Göttes Text bekommen, begreife ich, daß zwischen Dir und ihm eine Verständigung unmöglich und daß Du eine Zusammenkunft mit ihm nicht wünschen konntest. Ich wusste etwas von seinen Macken, aber sein gänzlich inhaltloses „Formgesetz“ so wie seine Unfähigkeit, die Vererbung etc. || zu begreifen, war mir doch unbekannt geblieben. Gleichwohl scheint mir seine positive Leistung eine hohe zu sein.
Daß Gegenbaur durch eine neue Zeitschrift einem nicht gefühlten Bedürfniß abhilft, will mir auch nicht in den Kopf.
In alter Anhängerschaft
Dein
Oscar Schmidt