Verworn, Max

Max Verworn an Ernst Haeckel, Bonn, 15. Februar 1918

Physiologisches Institut

Bonn, 15.II.18.

Nuss-Allee 11.

Hochverehrter Herr Professor!

Noch immer steht der 16te Februar unter dem Zeichen des Kriegs und noch immer bleibt daher mein erster und oberster Glückwunsch zu diesem Tage der Wunsch, dass nun endlich das neue Lebensjahr, das für die beginnt, endlich den Schluss dieses Wahnsinns bringen möchte. Ein wenig hoffnungsvoller sieht ja der politische Himmel in diesem Jahre aus. Das Licht im Osten ist ja bereits aufgegangen und man wittert Morgenluft auch in England. Aber die Bulldogge hat sich doch zu sehr verbissen, als dass sie jetzt schon zum Loslassen zu bringen wäre. Immerhin dürfen wir auf die grosse Offensive im Westen einige Hoffnungen setzen und so wünsche ich denn, dass Sie Ihren nächsten Geburtstag wieder in glücklichem || Frieden und altbewährter Gesundheit feiern möchten.

Im März hoffe ich Sie in Jena besuchen zu können und mich zu überzeugen, dass es Ihnen gut geht. Ich bin zwar eigentlich durch einen Ferienkurs für Kriegstheilnehmer für die ganzen Ferien an Bonn gefesselt und habe infolgedessen überhaupt keine Ferien, aber da mein Bruder im März seinen 70sten Geburtstag in Berlin feiert und da ich gleichzeitig bei den ganz verrückten Futuristen des „Sturm“ in Berlin zwei Vorträge angenommen habe, so lasse ich mich 14 Tage hier vertreten und fahre nach Berlin, um dann auf der Rückreise in Jena kurz Station zu machen. Das Reisen, das früher zu meinen grössten Genüssen gehörte, ist ja leider jetzt zu einer Geld- und Leibes-Strafe geworden, aber man muss doch zuweilen aus seinem alten Tretrade einmal heraus. Die Wirkungen des Kriegs an meiner Psyche verspüre ich so wie so schon recht deutlich. Man verbiestert. ||

Vor einem Monat war ich eine Woche in Flandern und habe mich dort an den Kriegshochschulkursen der VI Armee betheiligt mit 3 Vorlesungen über „die physiologischen Grundlagen der geistigen Thätigkeit“. Es war sehr interessant und angenehm in Tournai, wo die Kurse stattfanden und wir sind vortrefflich dort aufgenommen und verpflegt worden. Dagegen gehörte das Eisenbahnfahren in dem besetzten Gebiet, so dicht hinter der Front noch viel weniger zu den Annehmlichkeiten des Lebens, wie das Reisen im Inlande. Die Züge im Innern, die Bahnhofstellen und die Städte waren vollkommen verdunkelt, so dass man z. B. in Gent, wo ich Nachts ankam, die Hand nicht vor Augen sehen konnte. Da war es für mich schwer, ein Quartier zu finden, das mir mein Quartierzettel bezeichnete. Aber trotzdem habe ich doch bei Tage besonders Gent und Brügge sehr genossen und heute sind blos noch die angenehmen Er- || innerungen zurückgeblieben, während die Schwierigkeiten und Hindernisse vergessen sind.

Übrigens müssen wir hier in Bonn auch alles verdunkeln wegen der Fliegergefahr. Die Strassen sind abends bei bedecktem Himmel pechschwarz und meine Frau hat am Samstag bei einem schweren Fall sich das ganze Gesicht aufgeschlagen und das Knie verletzt, so dass sie heute noch nicht ausgehen kann. Alles das haben wir dem verdammten, verlogenen und hinterlistigen Engländergesindel zu verdanken.

Nun aber herzlichste Grüsse von uns allen bis auf Wiedersehen im März von

Ihrem getreuen

Max Verworn.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
15.02.1918
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 17458
ID
17458