Verworn, Max

Max Verworn an Ernst Haeckel, Göttingen, 12. Mai 1904

Göttingen 12.V.04.

Lieber und hochverehrter Herr Professor!

Für Ihre freundlichen Zeilen danke ich Ihnen recht herzlich. Sehr traurig bin ich nur, dass ich Ihren Brief aus Rapallo nicht erhalten habe. Leider leistet sich die Italienische Post öfter solche Unregelmässigkeiten. Als ich im April in Jena war, hoffte ich halb und halb, Sie zum Anatomen-Congress dort zu treffen, obwohl ich mir andererseits sagte, dass Sie demselben vielleicht lieber aus dem Wege gehen würden. Aber ich hätte Sie doch gern persönlich gesprochen. Es giebt viele Dinge, die sich nicht brieflich behandeln lassen und so hätte ich gern über manches mit Ihnen geplaudert. Hoffentlich || treffe ich Sie bei meinem nächsten Besuch in Jena oder, was noch viel schöner wäre, Sie kommen einmal nach Göttingen und sehen sich die Stadt der Geheimräthe etwas näher an. Sollte sich das nicht einmal ausführen lassen? Göttingen ist im Sommer, was Spaziergänge anbelangt, ganz hübsch, wenn es sich auch nicht mit Jena messen kann, und Sie würden in der Pension Verworn ganz gut aufgehoben sein. Möchten Sie nicht einmal diesen Plan in Ihrem Herzen umherwälzen? Was Sie uns für eine Freude machen würden, brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen, und ein Ihrer würdiger Empfang wäre Ihnen gesichert.

In einigen Wochen hoffe ich Ihnen zwei kleine Arbeiten schicken zu können, die Sie || vielleicht interessieren werden. Die eine behandelt die Beziehungen von Leib und Seele; mit dieser werden Sie nicht einverstanden sein. Die andere betrifft den Neovitalismus; in dieser Angelegenheit werden Sie sich freuen, einige kräftige Worte für Driesch und Neumeister zu finden. Im Übrigen bin ich durch allerlei lästige Verpflichtungen bis October vom experimentellen Arbeiten abgehalten und will froh sein, wenn diese lästige Zeit vorüber ist. Das Laboratorium und die Vorlesungen und Curse nehmen sehr viel Zeit in Anspruch, aber die Schüler-Arbeiten machen mir doch auch viel Freude. Was mich drückt sind die Pflichten, die ich für die Naturforscher-Versammlung übernommen habe und die ich gern wieder los sein möchte. Aber das ist vor October nicht || möglich.

Die schönen Tage, die ich im April in Jena verlebt habe, haben meine Sehnsucht nach seiner Luft und seinem Geist wieder mächtig gesteigert. Das Wetter war so wundervoll, dass selbst die eingefleischtesten Göttinger, die zum Congress in Jena waren,a zugestehen mussten, dass sie meine Begeisterung für Jena jetzt begriffen. Sie schwärmten alle für Jena, als sie zurückgekommen waren. Ich beneide Sie um das schöne Sommer-Semester in Jena und die herrlichen Spaziergänge auf die Schweizerhöhe und den Forst. Wenn ich nur einmal wieder ein Sommer-Semester in Jena verleben könnte!

Mit der Bitte, uns beide Ihrer verehrten Frau Gemahlin bestens zu empfehlen bleibe ich ein recht schönes und angenehmes Semester wünschend in herzlicher Verehrung stets

Ihr getreuer Max Verworn.

a eingef. mit Einfügungszeichen: waren,

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.05.1904
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 17440
ID
17440