Verworn, Max

Max Verworn an Ernst Haeckel, Kensington, 10. August 1895

1 Upper Phillimore Place

Kensington, London W.

10.VIII.95.

Sehr verehrter Herr Professor

Haben Sie vielen herzlichen Dank für Ihren freundlichen Brief. In meiner trüben Lage jetzt bin ich besonders empfänglich für jede herzliche Zeile, die ich bekomme.

Dass Ihr Fuss langsam auf dem Wege der Besserung begriffen ist, freut mich aufrichtig, doch hoffe ich, dass es nicht so lange dauern wird, wie Sie sagen, bis Sie || wieder gehen können. Ich kann mir vorstellen, wie schwer Sie unter dieser unangenehmen Zwangslage leiden müssen, aber ich glaube bestimmt, dass bei Ihrer jugendfrischen Natur die vollständige Heilung viel schneller beendigt sein wird als bei einem anderen Menschen.

In der nächsten Woche hoffe ich Sie selbst wiederzusehen. Unsere Trauung wird am Mittwoch Vormittag stattfinden und ich werde denn etwa am Donnerstag Abend zunächst allein zurückfahren, um eine Wohnung für uns zu suchen, während meine Braut noch bis zur Abreise || ihrer Mutter, die sie unter diesen Umständen noch möglichst lange bei sich haben möchte, hierbleibt. Sie haben mir gerathen, meine Braut erst einige Monate nach Deutschland zu bringen. Das war auch meine Idee zuerst, aber ich habe gesehen, dass ich sie leider nicht durchführen kann. Einerseits würden unsere Kosten dadurch anfangs noch vermehrt sein, denn meiner Familie kann ich das Opfer nicht zumuthen, meine Braut so lange bei sich zu behalten und so bliebe nur eine Pension übrig. Andererseits aber will es vor allem meine Schwiegermama nicht zulassen, dass meine Braut in || fremde Hände kommt. Sie wünscht ausserdem auch, selbst bei der Hochzeit zugegen zu sein und ich kann es ihr nicht verdenken, wenn sie in dieser Weise um ihre Tochter besorgt ist. Ich bin aber auch fest überzeugt, dass meine Braut sich ganz gut in unsere Verhältnisse hineinfinden wird und sie glaubt es selber ganz sicher. Hoffentlich wird es uns nicht zu schwer gemacht in Jena. Wir sind beide entschlossen alles zu ertragen und auf uns zu nehmen und werden die Zähne zusammenbeissen um es durchzuführen. Und ich glaube, dass ich es kann. Ich habe gute Zuversicht und halte es schon immer für einen Fortschritt diesem unnatürlichen Verhältniss, unter dessen Druck wir 5 Jahre gelitten haben, ein Ende zu machen. Ich bitte Sie und Ihre Frau Gemahlin innig, uns beiden Ihr Wohlwollen zu erhalten.

Mit herzlichem Gruss und in der Hoffnung, Sie bald in weit fortgeschrittener Genesung wiederzusehen bleibe ich immer

Ihr treuer Max Verworn.a

a Text weiter am oberen Rand von S. 4: Mit … Verworn.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
10.08.1895
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 17423
ID
17423