Verworn, Max

Max Verworn an Ernst Haeckel, El Tor, 19. Januar 1895

El Tor 19.I.95.

Sehr verehrter Herr Professor

Morgen geht die Post nach Suez ab und dann dauert es wieder einen halben Monat bis zur nächsten. Ich muss daher noch heute schreiben, um Ihnen noch rechtzeitig meine herzlichsten Glückwünsche zum Geburtstage zu senden. Leider kann ich ihn diesmal ebensowenig mitfeiern wie voriges Jahr, als mich die Influenza von dem Feste fernzubleiben zwang, aber || wir werden auch in der Ferne wie vor vier Jahren den Tag mit einem Wüstendiner festlich begehen und Ihnen ein arabisches „Kullu sanne ente taib!“ per telepathiam nach Jena hinwünschen.

Unsere Arbeit schreitet munter fort. Wir sind ziemlich fleissig hier in der Wüste und arbeiten täglich bis Sonnenuntergang, aber dennoch möchten wir häufig, dass der Tag mehr Stunden hätte, um noch alles machen zu können, was wir gern möchten. Wir haben beide noch immer die Orbitoliten vor. Jensen hat Untersuchungen über das Verschmelzen von verschiedenartigen Protoplasmamassen gemacht und ist || jetzt beim Chemotropismus. Ich selbst habe zuerst einige Versuchsreihen über Reizfortpflanzung und verschiedene Erscheinungen der Protoplasmaströmung angestellt und dann die galvanische Erregung ins Auge gefasst, mit der ich jetzt ziemlich fertig bin. Daneben habe ich einige Versuche über Otolithen bei Garneelen angestellt, habe aber gefunden, dass hier die Gleichgewichtsfunction in weitgehendem Maasse auch durch den Gesichts- und Tastsinn mit versehen wird, so dass nach Fortnahme der Otolithen die Gleichgewichtsstörungen nur sehr gering sind und sehr bald wieder compensiert werden. Für einige weitere Untersuchungen an || Muskeln habe ich mir schon Tridacna und die Holothurien ausgesucht. Material giebt es hier die Hülle und Fülle.

Von Ritter hatte ich gestern einen Brief. Er billigt meinen Plan, nach dem rothen Meere zu gehen als einen sehr glücklichen Gedanken und stellt mir die Aufgabe die Menstruation bei Kaltblütern sowie ihre Beziehung zu der bei den Vögeln phylogenetisch zu untersuchen.

Mein Buch ist inzwischen heraus und wie mir Fischer schreibt, ist eine englische Übersetzung, die bei Mac Millan erscheinen wird, bereits im Gange. Bitte schreiben Sie mir recht bald, was das Buch auf Sie für einen Eindruck macht, aber seien Sie recht anspruchslos bei der Lectüre. Mit diesem Wunsche und der Bitte mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin, sowie den Jenenser Freunden bestens zu empfehlen bleibe ich immer

Ihr treuer Max Verworn.

Herr Kaiser lässt Ihnen durch mich auch seine herzlichsten Glückwünsche zum Geburtstage übersenden und hofft Sie immer noch einmal wieder hier zu sehen. Wollen Sie nicht noch für die Osterferien hierherkommen? Das wäre herrlich!b

b Text weiter am linken Rand von S. 1: Herr Kaiser … herrlich!

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
19.01.1895
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 17416
ID
17416