Verworn, Max

Max Verworn an Ernst Haeckel, Neapel, 20. Oktober 1890

Napoli, Aquario

20.X.90.

Sehr verehrter Herr Professor!

Da ich vermuthe, dass Sie nun wieder nach Jena zurückgekehrt sein werden, richte ich meine Zeilen wieder dort hin. Hoffentlich haben Sie recht angenehme Ferien verlebt. Ich selbst bin leider mit den letzten beiden Monaten und meiner Tätigkeit während derselben sehr wenig zufrieden. Zwar habe ich sehr viel Natur- und Kunstgenüsse gehabt, sehr viel Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung Neapels gemacht, besonders auch mit dem Dampfer der zoo- || gischen Station und in sehr fideler internationaler Gesellschaft, aber dafür ist meine Arbeit sehr wenig vorgeschritten und nachdem ich verschiedentlich bei meinen Versuchen auf technische Unmöglichkeiten gestossen bin, die vorher nicht zu erwarten waren bin ich allmählich sehr missmuthig geworden und werde jetzt nur die Otolithenarbeit zu einem vorläufigen Abschluss bringen um mich mit neuen Kräften und frischem Muth auf eine neue Arbeit zu legen. Der Misserfolg bei der Otolithenarbeit liegt darin, dass es unmöglich ist bei Medusen z. B. den Inhalt des Otolithensäckchens zu exstirpieren ohne jede Verletzung des Nervensystems, und nachdem ich mühsam festgestellt hatte, dass die Verletzung des Nervensystems ganz bestimmt charakterisierte || Zwangserscheinungen hervorbringt, musste die Ausschaltung der Otolithen für sicha nothwendige Forderung sein.

Einen bestimmten Plan für den Winter habe ich noch nicht gemacht. Nach Tor, wo ich der reichen Foraminiferen- und Coelenteratenfauna wegen gern ginge würde die Reise etwas zu theuer werden nach den Erkundigungen die ich bereits darüber eingezogen habe. Vielleicht werde ich im Winter in Messina bleiben.

Augenblicklich ist Dr. Semon mit seiner Mutter hier, so dass ich mal wieder einige Neuigkeiten aus Jena erhalten habe. Mit den Herrn, die an der Station angestellt sind, habe ich garkeinen Verkehr, da mir der entsetzliche Klatsch der hier getrieben wird nicht besonders behagt. Herr Dohrn ist || bis jetzt noch nicht von seiner Reise nach Deutschland zurückgekehrt, so dass mir die Ehre seiner Bekanntschaft noch bevorsteht. Man ist jetzt hier sehr unangenehm berührt von der Friedländerschen Publikation über die Conservierungsmethoden. Ich habe freilich zu wenig Erfahrung darin, um ein Urtheil darüber zu haben. Aber es ist merkwürdig wie alle Leute, die hier an der Station längere Zeit angestellt sind, selbst wenn man ihnen sonst ein ganz gesundes Urtheil zutraut, wie Einig, doch mit Überzeugung ganz in das Horn des Directors blasen, obwohl sie sich bewusst sind, dass sie nur von ihm ausgenutzt werden.

Nun aber viele herzliche Grüsse auch an alle biologischen Bekannten von Ihrem

ergebenen

Max Verworn.

a eingef. mit Einfügungszeichen: für sich

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
20.10.1890
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 17381
ID
17381