Marie Eugenie delle Grazie an Ernst Haeckel, Wien, 10. Juli 1898
Wien, 10. Juli 1898.
Hochverehrter Meister!
Was necken Sie uns doch mit diesem Wörishofen und seinen heiligen Wassern! Sie werden Sich noch erinnern, mit welchem Abscheu und Ingrimm ich zum erstenmale dort hingegangen – so durchaus nicht wallfahrtsfroh und pilgergläubig! Aber – seh’n Sie – die Cur hat mich nach den übermenschlichen Nachtwachen und Plagen des Winters 1897 doch so herrlich erfrischt und neu gekräftigt, mich so ruhig gemacht, wie ich nervöser Hampelmann es früher nie gewesen – mir eine || stählerne Arbeitskraft geliehen – also muss doch „Etwas dran sein!?“ Nun seh’ ich Sie lächeln, ganz heimlich und sonnig, wie nur Sie es können! Und Sie denken vielleicht: „O, Suggestivgewalt aller Wallfahrtsorte!“ Nun – gut! Aber ist es nicht auch Etwas werth, wenn irgendwo ein so überwach-gereiztes Gehirn, wie das meine, – auf diesem Umweg, der noch dazu der natürlichste ist – zur Ruhe kommt? – Oder sollten Sie ernstlich annehmen, dass das bischen kalte Wasser dort meiner Weltanschauung gefährlich werden könnte? || Wissen Sie was? „Pilgern“ Sie auch einmal dorthin, und wär’s nur, um zu lachen!
Wir werden vom 15. Juli bis 24. August dort im „Kneippianum“ hausen; die letzten Tage des Augusts aber wieder in meinem geliebten Salzburg verbringen. Doch werden wir zur Abwechslung einmal nicht im „Kloster“, sondern – im Gasthof „Zum Stein“ Wohnung nehmen … Den kennen Sie ja?! –
Aus Ihrem letzten Brief fielen zu meinem Erstaunen einige österreichische Postwertzeichen heraus? Da || ich zu den „redlichen Findern“ gehöre, schliess’ ich sie bei.
Und nun grüßen Herr Prof. Müllner und ich, Sie, verehrtester Meister, ebenso innig als hochachtungsvoll, wobei ich Ihnen noch verspreche, den Mönchsberg und Aigen ganz besonders zu grüßen!
In unwandelbarer Verehrung
M. E. delle Grazie.