Franz Eilhard Schulze an Ernst Haeckel, Graz, 1. Januar 1874
Graz den 1 Jan. 74.
Hochverehrter Herr College!
Mit großer Freude und wahrer Bewunderung habe ich mir Ihre sämmtlichen früheren Werke so auch die beiden Aufsätze, welche Sie die Güte hatten mir unlängst zu übersenden, gelesen, und sage Ihnen dafür meinen verbindlichsten Dank. Beim Studiren dieser Arbeiten ging es mir wie beim Lesen mancher classischen Dichtung. Ich hatte wohl ähnliche Gedanken auch hin und wieder gehabt, aber nur unklar und sie nur halb ausgedacht. Jetzt sah ich sie klar und || vollständig durchgearbeitet, leicht faßbar und verständlich dargestellt vor mir und hatte das Gefühl wahrer Befriedigung.
In der kleinen Arbeit über Syncoryne und Sarsia, welche ich gleichzeitig mit diesem Briefe an Sie abzusenden mir erlaube, werden Sie einige entfernte Anklänge an Ihre Ideen finden.
Freilich bin ich grade in wichtigen Hauptfragen zu einem anderen Resultate gelangt als Sie, aber ich denke, die Differenz ist kleiner als sie zunächst aussieht. Sind Sie doch auch auf die Idee einer möglichen Dislocirung der Sexualzellen gekommen; und in Betreff des Cöloms bei Cölenteraten würde sich ja in Ihrer Theorie nichts Wesentliches ändern, wenn auch bei einigen höher entwickelten Cölenteraten schon ein Cölom || oder ein Vorläufer eines solchen sich ausbildet.
Es wäre mir in hohem Grade interessant zu wissen, ob Sie die taschenförmigen Hohlräume zu den Seiten des Radiärcanals von Sarsia und anderen Quallen als ein Cölom anerkennen oder nicht.
Für das Zutrauen, welches Sie mir durch die Aufforderung zur Theilnahme an dem Jenaer kritischen Journal erzeigt haben, danke ich Ihnen und rechne es mir zur hohen Ehre, indessen kann ich mich jetzt noch nicht zu Beiträgen verpflichten.
Mit ausgezeichneter Hochachtung und collegialischem Gruße
Ihr
ergebenster
Franz Eilhard Schulze.