Weiß, Ernst

Ernst Weiß an Ernst Haeckel, Saarbrücken, 27. Februar 1864

Lieber armer Freund!

Mit tiefer Betrübniß habe ich von dem harten Schlage gelesen, der Dich kürzlich getroffen und welchen mir meine Tante in Berlin mittheilte. Diese Trauer, welche ich mitempfinde, Dir auszusprechen kann ich nicht unterlassen, obschon Trost zu bringen mir noch weniger möglich sein wird als Andern. Sie ist ja nicht mehr u. Dein Glück war so kurz – als groß, glaube ich; an dieser Thatsache läßt sich ja nichts ändern. Darum Trost giebt diese Erkenntniß nicht; und wenn Dir auch noch Vieles bleibt, viele Liebe sich vielleicht jetzt in höherm Maße zu erkennen geben wird, so bleibt doch auch der Schmerz um den so plötzlichen Verlust. Nur theilen kann sich derselbe, denn es empfinden ihn gewiß Viele mit Dir. Trost ist eine innere Kraft und die muß der Mensch aus sich selbst herausholen; so, hoffe ich, wird es bei Dir auch geschehen, und diesen Wunsch theile ich mit Jedem aus tiefstem Herzen. ||

Vielleicht bist Du nicht in der Ruhe und Stimmung, um gern solche Briefe zu lesen, wie den meinigen; doch wenn es wäre oder wenn Du später eine Zeit dazu fändest, so bin ich befriedigt, falls Dir diese Zeilen die Überzeugung verschaffen, daß unter Deinen Freunden auch der an der Saar aufrichtig mit Dir trauert.

Andere Mittheilungen als persönliche übergehe ich daher auch heute, vor denen die sachlichen jetzt zurücktreten, obgleich ich glaube, daß grade die Beschäftigung mit den alten trauten Gegenständen Dir bald den größten Trost bringen unda Dir deshalb doppelt lieb werden möchten, wenn das noch möglich ist. – Ich habe einen schlechten Winter durchgemacht, wie befürchtet, vielleicht zwar immer noch besser als befürchtet. Seit November v. J. nämlich hüte ich mit einer Unterbrechung von 8 Tagen gegen Weihnachten beständig die Stube. Erst das seit einigen Tagen wieder milde Wetter hat mich wieder herausgelockt; doch wiederholen sich auch jetzt noch die frühern Beschwerden. Da heißt es allerdings Geduld haben, aber wenn die Liebe zur Wissenschaft nicht mithülfe, es wäre schwer zu tragen. Im Bette habe ich die von || Carus übersetzten Huxley’schen Zeugnisse über die Stellung des Menschen in der Natur studirt u. A. Pflanzen u. Thiere der Vorzeit beschäftigten mich später, als ich wieder in der Stube außer dem Bett sein konnte; natürlich hat diese Beschäftigung auch nicht aufgehört, u. was etwa dazu kam an mineralogischen Gegenständen, das ist doch Alles auf unser Gebirge zwischen Saar u. Rhein gerichtet. Das ist meine Welt, mein Sein; so lange es mir möglich ist, in ihr mich noch zu bewegen, so lange b bin ich auch zufrieden.

Nun, da bin ich doch hart an der Grenze des Sachlichen hingestreift; aber kann man denn Person u. Sache, Geist u. Materie von einander ganz trennen? Weil ich es nicht glaube, muß ich hoffen entschuldigt zu sein. Eine kleine Welt habe ich Dir als die meinige genannt, die Deinige ist ungleich größer und weiter: in ihr magst Du Dich auch ferner wohl fühlen. Einige Verwandtschaft zu der meinigen besteht; gern möchte ich drum dies auch als Grund ansehen, weshalb ich mir erlaubt habe, Dich aufzufordern, Trost auch grade in ihr mit zu suchen. Gerechtfertigt aber bleibt es, wie ich hoffe, daß ich Dir in diesen Zeilen meine ganze innige Theilnahme aussprach, mit der ich fernerhin bleibe

Dein getreuer Freund

E. Weiß.

Saarbrücken d. 27. Febr. 1864.

a korr. aus: werden; b gestr.: ich

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
27.02.1864
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 16651
ID
16651