Weiß, Ernst

Ernst Weiß an Ernst Haeckel, Merseburg, 14. Dezember 1853

Merseburg d. 14/12 53.

Mein lieber Häckel!

Obgleich der letzte, der sich hinsetzt, an Dich zu schreiben, vielleicht auch, der am wenigsten schreibt, hoffe ich doch noch von Höchstdirselbst auch gnädig angenommen zu werden. Im Vertrauen auf diese außerordentliche Gnade – hem nem – ergreife ich die Feder, Dir meinen tiefgefühltesten Dank zu sagen für Deine mir bewiesene, wirklich in der That ganz bewunderungswürdige Aufopferung. Sag mal, ist es „moralischer oder intellektueller Blödsinn“ von Dir – um mit dem Ollen zu reden –, daß Du so urplötzlich Dir alle u. jede Zeit selbst geraubt hast? Das geht ja übers Abiturienten-Ochsen!! Und doch hast Du kein Examen vor Dir. Ich hoffe, – ja ich fürchte: kommen wird einst der Tag, wo Du sagen wirst: was zu viel ist, ist zu viel. – Im Übrigen könnte man sich – als wie ich nämlich – ein Beispiel dran nehmen; denn wenn ich einmal das Glück haben sollte, von mir sagen zu können: ich bin Mulus u. von der Pennalia: Du magst mir gewogen bleiben, so würde ich, wie Du weißt, in Berlin studiren, u. zwar zu studiren wünschen: Physik, Chemie, Botanik, Mineralogie, Mathematik …… Das würde wohl auch den ganzen Tag ausfüllen. Indes bis jetzt erkenne ich so was noch für moralischen Blödsinn, zwar nicht zu studiren, doch so viel auf einmal. Nun frägt sich’s, was streicht man davon. Physik? Nein! Chemie? Nein! Mineralogie? Nein! Mathematik? Nein!! – Botanik? – Nein?? – Das ist’s, was ich Dich fragen möchte, u. worüber ich Dich bitte, wenn Du einmal Zeit hast, mir zu schreiben. Deine Charakteristik der Lehrweise Brauns gefällt mir nicht und ladet nicht ein. Gleichwohl ist Botanik am besten im ersten Semester absolvirt, denke ich. Quid faciamus? Dazu kommt eine Geschichte, die ich hier andeuten muß und über die Du wahrscheinlich die Hände über dem Kopfe zusammenschlagen wirst, vielleicht verzweifelnd an a der Menschheit. Doch muß es geschehen, sollte ich auch Deine ganze Gunst und Freundschaft verscherzen. Ich muß etwas ausholen. – Nachdem sich bei mir der Rausch von der Riesengebirgsreise (denn ein Rausch war es in der That und ich gerathe noch sehr oft hinein) gelegt hatte, so stellte sich mählig eine wohl thuende Befriedigung ein, die b sich selbst genug warc. In solcher Lage des Gemüths ereignete es sich nun einmal, dass ein gewisser Weber aus Halle nach Merseburg kam, das von Vielem geschwatzt wurde, daß man auf die verschiedenen Stadien des Lebens d im Allgemeinen, doch auch im Besondern, zurück- und vorwärts blickte. Da gab denn Einer – ich weiß nicht wer zuerst – heraus, daß doch die Botanik ein närrisches Ding wäre, daß man sich zwar sträube dran zu denken, daß aber ein Gedanke immer wiederkehre: Du wirst nicht ewig Dich mit Botanik beschäftigen wollen. Kurz man gestand sich, daß die frühere unendliche Begeisterung mählig ein wenig abnehme. Da hast Du die Sachlage. Verdamme indes nicht zu schnell, wenn Du einmal verdammen willst. Noch ist das Interesse an Botanik vorhanden; noch mag ich sie lange nicht aufgeben. Aber wenn nun einmal diese Zeit käme, wie dann? Soll ich also jetzt Botanik hören? – Dies spricht dafür; dagegen noch dies: ich hoffe doch nicht immer in Berlin zu bleiben, vielleicht nach den ersten 2 Semestern schon anderswohin (nescio quidem quo tendam) zu wandern, vielleicht daß da die Gelegenheit für das Studium der Botanik günstiger wäre. Oder soll man die Botanik nur privatim treiben? – Wenn Du mir darüber Deine Gedanken sagtest, sollte || es mich sehr freuen. – Weißt du übrigens, was diesen neuen Keim der Zwiespalt (wenn nicht Umwandlung) in mire hervorgerufen hat? Ich sage es Dir, um Dein Urtheil, wenn es zu hart ausfallen sollte, zu mildern: der vorletzte Brief von Dir an mich, in welchem Du eine Eintheilung (übrigens höchst richtig und logisch) der Naturpfuscher oder Natur-Meister, Gesellen, Lehrjungen oder wie man sie jetzt, nach des Hallischen Professors neustem Ausspruche, nennen muß, triffst. Im Übrigen bin ich Dir für denselben noch nachträglich den besondern Dank schuldig, mir ein – wenn auch noch düsteres – Licht aufgesteckt zu haben. Danach wirst Du einsehen, daß ich Physik und Chemie nicht aufgeben, vielmehr vorzüglich treiben möchte (zumal, wenn ich nicht immer in Berlin bleibe); Mathematik ferner, siehst Du vollends ein, ist nöthig zu treiben; Mineralogie versteht sich von selbst: also kommt die Frage immer an die Botanik. – – Indes genug hierüber: ich bin ohnehin noch nicht durch das Abiturienten Examen und noch entsetzlich dumm. –

Redeamus igitur etc. Ich hatte begonnen, Dir meinen Dank für Deine an mich verschwendete Zeit zu danken [!]. Der Dank erstreckt sich ferner auf Deine ganze Sendung. Du kannst doch wohl nicht gar so gar wenig in diesem Sommer gefunden haben und dazu sind f die Pflanzen besser getrocknet als die meinigen, von welchen ich oft den Schimmel habe abbürsten müssen. Ebenfalls schönsten Dank für die mir geschickten Arbeiten, welchen Du gelegentlich auch Deinem Bruder sagen magst. Nach dem schriftlichen Examen (Februar) kannst Du sie wieder erhalten. Schade, daß keine Arbeiten über philosophische Themata (welche der Olle seit Ostern schon giebt!) darunter sind. Dies Kapitel könnte mich auf ein wenig erbauliches Thema über Katzenjammer, Pennalia etc. bringen, u. ich müßte jedenfalls so beginnen: „Ja, lieber Häckel, das ist ein trauriges, sehr trauriges Kapitel. Auf den seligen einen Ferienmonat, namentlich auf das wirklich himmlische, idyllische, romantische Bummelleben im Riesengebirge, wo ich beim schönsten Wetter in der göttlichen Natur schwelgte, nach Herzenslust in den großartigen Bergen, Felsschluchten, Thälern und Wäldern umherbummelte, wo ich den ganzen Tag mit einer der anziehendsten Beschäftigungen, dem vergleichenden Botanisiren u. Ungarweinkosten todt schlug, diese Zeit ist vorüber und auf sie ist eine Zeit gefolgt, die ich Dir in ihrem eigentlichen Wesen gar nicht beschreiben kann etc. etc.“

Aber was hilft das Alles: davon wird’s hier auf der Pennalia (wo sie neuerdings wieder einen relegirt, einen mit dem Consil beehrt, einen mit demselben bedroht, 3 vor der Conferenz verwarnt haben; dies sind nämlich die 4 letzten „Straf-Modus“) doch nicht besser. Also bleibt nichts Anderes mehr übrig als: ’s Maul halten und ein dickes Fell sich zulegen. – Wenn wir uns später einmal treffen, will ich Dir Geschichten erzählen, über die Dir die Haare zu Berge stehen sollen; jetzt nicht, denn der Alte hat sich noch nicht pensioniren lassen. – Noch ein Curiosum: die Schule geht den Sonnabend nach dem hohen Neujahr wieder an, ohne Widerrede. – – – – –

Nun ich werde Dich lange genug gelangweilt haben. Drum will ich nur noch schnell auf die Beantwortung einiger Dinge in deinem letzten Briefe übergehen. – Catharinea hercynica wird wohl richtig von Dir bestimmt sein, da ich mich sehr genau erinnere eine Catharinea (mit glatter Haube) mitgebracht zu haben. Moose habe ich noch nicht wieder angesehen, ja ich werde sogar mein Mikroskop bis Ostern nach Halle in Condition geben. Deine Gedanken über das Pflanzen-Tauschen oder vielmehr Nicht-Pflanzen-Tauschen, sind von je her die meinen gewesen. Vorläufig habe ich doch keine Zeit noch ein mal meine Sachen hervorzusuchen, später sollst Du bekommen, was Du wünschest. – Von den 2 deutschen Floren habe ich mich für Lorinser entschieden und Du erhältst noch herzlichen Dank für dies Geschenk. Es thut mir leid, sehr leid, daß ich mich nicht irgendwie revangiren kann. Du wirst zwar sagen, Du wünschest, daß nicht … Indes ist es am besten, darin zu schweigen, wir kennen ja unsere Gedanken doch besser, als wir darüber reden würden.

Leb nun wohl. Zierhold (über den ich mich beiläufig scheußlich ennüyire) grüßt, desgleichen Osterwalds den Onkel Häckel. Ernst Osterwald ist ein Pracht-Junge, in den ich mich verlieben könnte.g Wenn Du einmal und womöglich nicht zu spät einige Zeit findest, Nachricht von Dir zu geben, so wirst Du eine recht große Freude erregen

Deinem treuen Freunde und Stubengenossen

Ernst Weiß.

Weber sprach davon, daß es besser sei, wenn die Briefe direkt an ihn gingen und er wolle Dir es schreiben: für seinen Geldbeutel ist es freilich nicht besser. Osterwald schreibt jetzt viel zusammen (auf daß er sich in Allem versuche) für das „Weltall“, Zeitschrift für populäre Naturkunde, redigirt von Giebel u. Schaller in Halle unter Mitwirkung von Cotta, Reichenbach, Schacht, Tschudi etc. etc., von 1854 an erscheinend. Man kann das alles überfluthende „populäre Zeug“ jetzt übrigens satt kriegen.h ||

Kürzlich habe ich in der Klasse einen Vortrag „über die Freuden des Botanikers“ halten müssen, habe gebührend natürlich auch gegen die Lauheit der Meisten auf die Naturwissenschaften räsonnirt, – doch freilich bei dem verderbten Menschengeschlechte keine Reue u. Buße bewirkt. – Dies zum Zeichen, daß ich auch die Botanik noch zu loben weiß.i

a gestr. xxx Xxx; b gestr.: an; c gestr.: hatte, eingef.: war; d gestr.: zurück; e eingef.: in mir; f gestr.: hier; g mit Einfügungszeichen nach Osterwald eingef.: Ernst O. … verlieben könnte.; h Text auf dem linken Rand von S. 2, um 90° gedreht: Weber sprach … satt kriegen.; i Text auf dem linken Rand von S. 1, um 90° gedreht: Kürzlich habe … loben weiß.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
14.12.1853
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 16629
ID
16629