Weiß, Ernst

Ernst Weiß an Ernst Haeckel, Merseburg, 28. Oktober 1853

Merseburg 28/10 53.

Mein lieber Häckel!

Man wird ja förmlich dazu genöthigt, seine – theure – Zeit auf’s Briefschreiben zu verwenden. Doch der necessitas muß man sich unterwerfen und so erhältst Du ein paar begleitende Zeilen von mir zu Webers Brief, wenn er auch schon für sich selbstverständlich sein würde.

Du wirst, denke ich, bei mir mit ein paar Zeilen zufrieden sein; denn 1.) habe ich nicht so viel Zeit als Weber, 2.) nicht zu viel Stoff 3.) nicht so sehr gesündigt als er. Ja das waren selige Zeiten, als man sich noch hinsetzen konnte, drauf losschreiben, ohne zu eilen, fertig zu werden: werd’ ich heut’ nicht fertig, werd’ ich’s morgen vielleicht. Jetzt lebe ich ganz wie a ohne Zeit; jede Stunde denkt man dran, daß nun wieder eine Stunde vorbei ist. Hoffentlich wird das nicht lange so fort gehen: das ist ja ein Hundeleben! Und keen Mensch, der Einen durch Abholen zum Botanisiren und dergleichen aufmunterte, wie anno 1851 u. 1850. Mit Mühe und Noth habe ich mein Herbarium vergangne Ferien einigermaßen (theilweise) geordnet und bis jetzt zwischen 1100 bis 1200 Arten drin gefunden. Doch liegt noch dies und jenes herum. Die Umbrelliferae, Gramineae, Cyparaceae, Juncaceae haben anderes größeresb Format erhalten; die Compositae sollen später dasselbe bekommen: es macht sich auf die Weise förmlich || stattlich. Aber der liebe Gott weiß, wann ich je wieder mank de Pflanzen gerathen werde. Die Moose liegen ganz im Argen. Vielleicht läßt sich später als Student ein Kapital zusammenbringen zu einem Mikroskope. Doch favete linguis, wenn ihr darauf zu sprechen kommt. Das Pennal zehrt jetzt an der Hoffnung. ’s sind wieder schöne Geschichten vorgekommen!! – – Man vermuthete, daß nach dem Abgange der letzten Abiturienten, jener Hauptkraköhler, die peinliche Zucht auf der Bude wieder sich mildern werde. Weit gefehlt! – Heute wird bekannt gemacht: „Jedes Pennal hat – bis morgen – folgendes anzugeben: 1.) Name, 2.) Wohnung und zwar a) Straße b) Hausnummer c) Treppen d) Name des Wirths. 3.) diejenigen Stunden, welche ihm etwac durch Privatstunden verloren gehen. 4.) Diejenigen Stunden, in denen er zu Haused arbeitet (!! so ’ne Unverschämtheit!!). – Ferner muß jedes Pennal von 6 Uhr Abends zu Hause sein. – Die Kessel wollen Besuche bei ihren Schülern abstatten. – – – Ist sowas schon da gewesen?? – – Gott gebe, daß ich bald von hier fort komme. So wenig mich die Sache inkommodirt, so sehr werde ich doch über solch unverschämte Tierquälereien empört. – Doch genug; es ist gut, daß die wieder einmal erregte Galle sich aussprudeln kann: Du wirst entschuldigen, wenn ich Dich mit dergleichen Dingen unterhalten habe. – Ließ nachher Weber’s Brief wieder, der wird den üblen Eindruck des meinigen hoffentlich verbessern. || So eben erhielt ich durch meinen Bruder ein paar getrocknete Pflanzen (Rosa …. dabei) von meiner Tante aus der Schweiz mitgebracht. Dies veranlaßt mich, Dich noch einmal um den Titel der schon früher von Dir angegebenen Flora Deutschlands und der Schweiz zu bitten. – Wer da hätte mit sein können, als mein Onkel und Tante dort herum gereist und geschwelgt haben! – Neulich sagte mir letztere: – doch ’s ist besser, ’s bleibt unausgesprochen. Eitle Hoffnungen, eitles Wünschen. – Am besten wirst Du thun, diese Räthsel gar nicht zu lesen. Später spricht man davon vielleicht. Jetzt muß ich eilen.

Doch noch Eins, was Dir nicht ganz uninteressant sein wird: W. Zierhold ist nicht mehr verlobt, studirt nicht Theologie.

Adieu nun. Baldiger Antwort sieht entgegen

Dein treuer Freund

Ernst Weiß.

a gestr.: außer; b eingef.: größeres; c eingef.: etwa; d eingef.: zu Hause

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
28.10.1853
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 16628
ID
16628