Weiß, Luise

Luise Weiß an Ernst Haeckel, Berlin, 21. Juli 1863

Berlin den 21. Juli 1863.

Meine herzlichgeliebten Freunde!

Mit dankerfülltem Herzen für die so schön und froh verlebten Tage bei Euch ergreife ich die Feder, um einige Nachricht von mir zu geben, die Ihr möglicherweise schon früher erwartet habt, allein es war wirklich keine Zeit dazu. Auch heute will ich mich nur kurz fassen, es bedrängt mich so Vieles; auch ists ja nicht allzulange hin, dass wir uns wiedersehen. Wie ich mich darauf freue, Euch beste liebsten Freunde bei mir zu beherbergen, kann ich gar nicht sagen! ich weis auch gewiss, dass Freund Barth mir den „Ehe Herrn“ nicht abspendig machen wird, wenn die liebe „Ehe Frau“ bei mir logirt, nicht wahr, darauf kann ich sicher rechnen dass Ihr Beide bei mir bleibt? es geht ganz prächtig und versteht sich von selbst. Aber recht freundlich war’s von Barth dass er Ernst so gern bei sich logiren wollte; er dachte wohl, es ginge nicht bei mir; aber es geht – und Ihr werdet Euch in die engen Räume schon finden. ||

Doch nun will ich geschwind noch ein wenig von meiner Rückreise erzählen. Der erste Anfang, auf dem Markt in Jena wo der Wagen ½ St. hielt und wartete, bis alle mitfahrenden Studenten zusammen waren, war nicht sehr erquicklich, doch blieb ich ruhig in m. Coupé sitzen und bekam zum Nachbar einen soliden Herrn. In Apolda nichts bemerkenswerthes hingegen in Leipzig – Pech – wie der Student sagt! in demselben Augenblick d. h. halb 7 U. dampfte der mich mitnehmen sollende Zug ab als der mich bringende ankam! ich musste also 3 ½ St. in Leipzig warten, und konnte erst um 10 U. abfahren, fand aber dennoch halb 11. meine Herren Neffen auf dem Schkeuditzer Bahnhof und zwar zum 3ten mal, da sie um 7. um 8 – wo der Hallesche Zug ankommt – und halb 11. hinaus gegangen waren, die gute Seelen. Mittwoch nun noch recht heiter in Schkeuditz die ganze Sippschaft noch beisammen.

Donnerstag bei recht kalten windigen Wetter per Wagen, durch die Aue nach Merseburg gefahren. Ernst und Marie W. Anna und ich – zu Lieschen W.

Um Anna Merseburg zu zeigen, ging ich mit ihr und Ernst, durch den Schlossgarten in die Domkirche wo wir uns fast 2 St. von dem Küster herum führen ließen und ich selbst fast zum Kinde wurde, durch die alten Erinnerungen aus meiner früheste Jugend – es war gar zu hübsch und mir rührend. Liegt doch meine Mutter auf dem kleinen Kirchhof der am Kreuzgang – längst unbenutzt naheliegt, begraben! Taufstein, Altar, Sacristey, und alle alten Erinnerungen; auch die Kripta zeigte der Küster. ||

Bei Lieschen im wohlbekannten alten Hause zu Mittag und Nachmittag zurückgefahren im Wagen z. Ts. Freitag früh nun fort von Schkeuditz. Nach Leipzig – in die St. Rom; Ernst fuhr mit und auch mit nach Stötteritz, wo ich uns angemeldet hatte und wir sehr wohl empfangen wurden; da also zu Mittag und dann im Garten – Poggen wie wirds geschrieben? gespielt, von Ernst und Anna und Linda und Lisa; nicht wie in Jena so lustig – doch heiter und amüsant genug. Ernst wanderte dann nach Leipzig zurück und schickte mir einen Fiaker heraus, dampfte aber selbst nach Schkeuditz zurück. Er wird in den Tagen des Turnfestes nach L. kommen auf 1 Nacht und wird Sie aufsuchen jedenfalls bei H. Engelmann.

Für mögliches Verfehlen will ich für Nachtquartier nennen: neue Kirchhof No. 34. 3 Treppen bei Heinrich Schmidt. Doch dies nur für den Nothfall. Ich ging mit Anna noch 1 Stündchen ums Thor; das Wetter war kalt und windig geworden und so begnügten wir uns am Sonnabend mit Besuchen bei Verwandten und in der Stadt herum, und fuhren um 5 zum Bahnhof und waren 9 ¼ U. im Regen, in Berlin! – Anna ist höchst beglückt durch diese Reise und das freut mich herzlich. Hier war Alles gut und gesund.

Sonntag Mittag ass ich bei Beyrichs, und gegen Abend kam Dr. Barth zu mir; dessen Schwester kommt erst morgen; den Donnerstag will B. gern mit uns und Jettchen eine Land Parthie machen – oder auch am Freitag, jedenfalls sollen wir Donnerstag Abend – und auch Ihre Eltern – bei ihm seyn und am Freitag wird er mit s. Schwester und Beyrichs bei mir seyn. ||

Aber nun muss ich noch schnell erzählen, wie sehr mich Barth überrascht und beschämt hat, durch ein werthvolles Geschenk, das ich bei m. Ankunft auf m. Tische vorfand. Der große Atlas von A. Stieler mit 63 Blättern, neueste Ausgabe, ich war völlig erstaunt! und sehr liebe Worte dazu.

Nun, Ihr werdet es ja sehen. Gestern Mittag habe ich bei Euren Eltern gegessen, mit Frau Passow – Adeline Seebeck – Gertrut Passow – Luise Lachmann und deren 3 Kinder – und – Adolph Schubert und Ottilie. Anna L. versteht sich und auch Ihr Bruder, Heinrich Sethe. Doch war es etwas zu – Passowsch! Heute Morgen habe ich vergeblich Adeline erwartet; sie wird wohl nun morgen kommen; Sonnabend kommt Lieschen aus Merseburg zu mir und bleibt höchstens bis 4ten oder 5ten August, so dass in alle Fälle mein Stübchen leer ist wenn Ihr Lieben kommt, worauf ich mich so sehr freue! Aber bleiben müsst Ihr mindestens bis Montag d. 10ten, da am Sonntag kein D Schiff geht, wie Ihr sagt und Ernst am Sonnabend d. 8. mit Barth in die geographische Gesellschaft gehen muss!

Sonnabend reisen die Eltern ab, wie Ihr wissen werdet – nicht am 27. sondern 25. ich gehe natürlich noch einmal hin und sehe sie auch am Donnerstag bei Barth. – Nun habe ich doch alle 4 Seiten voll geschmirt – warlich nicht geschrieben – aber ich eilte so sehr. Sonst nichts Neues; doch: Parthey ist hier aber weder Frau noch Tochter; ich hoffe er kommt bald einmal zu mir. Seid so gut alle Freunde d. h. Seebecks und Frommann zu grüßen wenn Ihr sie seht und bleibt gut bis auf Wiedersehen Eurer

Euch herzlichliebende Luise Weiß. ||

2.

„Was schreibst Du gute alte Tante Weiss ausführlich und weitläuftig!“ werden Sie sagen; aber nun auch nichts weiter davon! – Leider muss ich zu einem andern gar nicht erfreulichen Thema übergehen, zu dem guten Ernst W. in Saarbrücken, dessen neuliche Krankheit sich auf sehr Besorgniss erregende Weise wiederholt hat und sein Zustand uns Alle recht bekümmert; es war so schlimm, dass der Arzt nach Schkeuditz 2 mala telegraphirte, mehrmals und ich begierig bin, zu erfahren, ob Karl heute nach Frankfurt a/M. abgereisst ist, bis wohin ein Andrer Ernst begleiten sollte – um ihn sich nach Schkeuditz zu holen, wo er jedenfalls zunächst eine Zeitlang bleibt und dann in ein Bad geschickt werden soll. Die heftigen Krankheits Erscheinungen – Angst und Beklemmungen bis zu Krämpfen pp. rühren offenbar von Störungen im Organismus – organischen Herzfehler (?) her, jedoch spricht der Arzt auch von Unterleibs Übeln – ja von Brustleiden so dass der ganze Zustand sehr complicirt seyn mag. Genug – er ist sehr leidend, sehr krank und seine Stimmung aufs äuserste niedergedrückt; – der Arzt verbietet jede Anstrengung; was soll da werden? Die Theilnahme Aller ist groß und das freut uns. Aber Sie können denken wie uns Alle dies besorgt macht und auch aufb meine Pläne Einfluss haben könnte. Es ist recht traurig! In einer großen Familie kommt freilich immer dergleichen vor; so ist auch von wenig Wochen der kleine Enkel in Lokwitz gestorben, ein liebes Kind von 2 Jahren und nun steht der ganze Weiss’sche Stamm wieder nur auf 2 Augen in der jüngsten Generation! ||

Jetzt könnte ich nun freilich meine – nicht mehr Schreiberei – sondern Schmirerei enden; aber soll ich kein Wörtchen von meiner neuen Wohnung sagen? Dass ich im Ganzen zufrieden bin – es musste ja sein, der Umzug überhaupt; aber nunmehr möchte ich’s nicht zu wiederholen haben; es hat mich zu sehr angestrengt; ich war einige Wochen ganz herunter und zu sehr ermüdet; jetzt gehts wieder. Das Wohnzimmer ist grösser und hübscher als das alte; das Schlafzimmer zu oder wenigstens – sehr klein; Esszimmer dunkel – sonst zweckmäsig, und das Gastzimmerchen – die schöne große Küchen Speisekammer – offenbarer Gewinn jetzt.

Das Geräusch der Strasse ist mir unangenehm und ich vermisse die Stille und den weiteren Horizont, meinen – wie mich Barth nekt – „sentimentalen“ Abendhimmel, gar schmerzlich, obgleich mir vis à vis zur Hälfte ein reizendes Grundstück mit Gärtchen ist – zur andern Hälfte aber ein Kasernenartiger Bau, den die dicht vor m. Fenstern stehenden Bäume verdecken werden. Wie in einer andern Stadt lebe ich hier; die Nähe Ihrer Eltern benutze ich sehr und gehe oft herüber; dagegen hat sich Ihre Mutter davon nicht sehr rühren lassen und ist ein ‒ sage einmal erst herüber zu mir gekommen, was – ich gestehe es – etwas kränkt; Ihr Vater aber, der kommt öfter; doch habe ich seit mehr als 8 T. Keins gesehen. Wer mich am häufigsten besucht, das ist Freund Barth, der lässt keine Woche vergehen. Neulich am Geographischen Stiftungsfest, soll er eine ausgezeichnet gute Rede gehalten haben! leider ist Ihr Vater nicht hingegangen; Barth fragt oft nach Ihnen. – Beyrichs gehts gut in ihrer schönen aber – neuen – Wohnung; die haben statt meiner Stille und weite reizende Aussicht über Gärten mit Nachtigallen. – Dr. Parthey ist seit einigen Wochen mit Veronika (und ein Frl. Sachse) nach Venedig gereisst bis Anfang Juli.

c Ich schäme mich so über m. langen Brief, dass ich am Rande Abschied nehme aber auch da bin und bleibe die getreue, Luise Weiß.

d Luise Lachmann mit ihren 3 lieblichen Mädchen, ist oft bei mir; jetzt ist sie mit 2 in Braunschweig auf 8 Tage bei den alten Lachmanns.

e Den mitgenommenen Geburtstagskuchen habe ich allen in Leipzig verzehrt, als ich über 3 St. warten musste!!

H: EHA Jena, A 16598. Egh. Brief, Dbl., 1 Bl., 6 Seiten, gelbliches Papier, Besitzstempel. D: ungedruckt.

a eingef.: 2 mal; b eingef.: auf; c weiter am Rand v. S. 6; d weiter am Rand v. S. 5; e weiter am Rand v. S. 1.

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
21.07.1863
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 16598
ID
16598