Franz Eilhard Schulze an Ernst Haeckel, Graz, 13. November 1875
Graz d. 13 Nov. 75.
Hochgeehrter Herr College!
Mit wahrer Freude habe ich Ihre zweite Arbeit über die Gastrula und deren Genese begrüßt. Ich danke herzlich für die Übersendung des Seperatabdruckes.
Die einzige wesentliche Schwierigkeit scheint mir noch in den Angaben über die Delamination bei einigen Coelenteraten zu liegen; indessen kann ich in Betreff meiner eigenen Mittheilung über diesen Vorgang bei Cordylophora berichten, daß ich dort eine solche Entstehung der Gastrula aus der Morula nicht direkt beobachtet sondern nur erschlossen hatte, weil ich die Invagination nicht hatte beobachten können. Es ist mir aber nach einer erneuten Revision meiner Zeichnungen und Präparate jetzt sogar höchst wahrscheinlich geworden, daß auch die Gastrula von Cordylophora durch Invagination entsteht. || In Bezug auf die Deutung des bei manchen Spongien nachweisbaren Plattenepithellagers auf der Oberfläche der von mir als Mesoderm gedeuteten Gewebsmasse, möchte ich Sie bitten, in Ihrer nächsten Arbeit, falls Sie auf diese Frage überhaupt eingehen, doch besonders hervorzuheben, daß ich die eigentliche Entscheidung über die Bedeutung der beiden differenten Lagen, welche ich einstweilen nach ihrem histiologischen Charakter als Ektoderm und Mesoderm bezeichnen zu dürfen glaubte, doch erst von dem Studium der Entwicklungsgeschichte erwarte. Ich habe dies zwar in meiner Arbeit p. 258–259 ausdrücklich ausgesprochen in den Worten: „Die sicherer Entscheidung über die morphologische Deutung dieser skeletbildenden Schicht kann natürlich sowohl bei höheren Cölenteraten als bei den Schwämmen einzig und allein durch die Entwicklungsgeschichte geliefert werden“; indessen steht diese Erklärung nicht ganz an der richtigen Stelle und wird daher auch leicht übersehen werden; auch bezieht sie sich nicht besonders auf das Plattenzellenlager als ein muthmaßliches Ektoderm.
Ihr freundliches Anerbieten, mir Ihr Spongienmaterial zur Benutzung für || einige Zeit überlassen zu wollen nehme ich mit dem größten Danke an.
Zunächst gedenke ich Myxospongien Gummineen & Ceraspongien, später dann auch die Kieselschwämme vorzunehmen. Zu jedem Gegendienste, welcher mir möglich ist, bin ich natürlich freudigst bereit. Es wird mir eine besondere Ehre sein, dem Manne nützlich sein zu können, dessen Werk mich seit lange begeistert und hauptsächlich der Zoologie zugeführt haben.
Indem ich mir erlaube, meine Photographie beizulegen, bitte ich um die Ihrige.
Mit herzlichem Gruße
Ihr ergebenster College
Franz Eilhard Schulze.