Max Schultze an Ernst Haeckel, Bonn, 5. Juni 1870

Bonn 5 Juni 70.

Lieber Haeckel!

Bitte schreibe mir wen Du von den zu Revisionscommission der Statuten der Leopoldina vorgeschlagenen Leuten für die geeignetsten hälst. Außer Virchow weiß ich nicht, wen ich auswählen soll, und doch läßt sich bei vernünftiger Behandlung etwas von der Revision erhoffen – kommt Alles auf die Wahl an.

Dein Aufsatz über Bathybius etc. in Eurer Zeitschrift hat mich, wie Du Dir denken kannst, im höchsten Grade interessirt. Ich gestehe daß ich an den Huxley’schen Angaben noch etwas mäkelte wenn nicht zweifelte. Erst jetzt erfreue ich mich mit dem Gefühl voller Sicherheit an der fabelhaft merkwürdigen Verbreitung des Protoplasma in || in den Abgründen des Meeres. Welche Aussicht auf neue Moneren bietet diese Lokalität noch! Du müßtest behufs weiterer Entdeckungen nach diesem Gebiete eine der Tiefgrund-Expedition begleiten! Denn wie viel mehr wird ein sicherer, geschärfter, geübter Blick wie der Deinige dort entscheiden als der eines Engländers wie etwa Carpenter, der kaum je ein lebendes Rhizopod gesehen. Was mit dem Coccolithen noch werden wird? Mir scheint es garnicht so räthselhaft, daß sie alle von Myxobrachien abstammen, deren Verbreitung auf hoher See ja eine viel größere sein mag als wir ahnen. Wenigstens daß es keine Organismen für sich sein können, scheint mir ziemlich klar. Was soll || das Ding da vorstellen, wo soll es leben, was Schale, was Inhalt sein; es bietet sich ja nicht der geringste Anhaltspunkt für eine Verwandtschaft mit bekannten Organismen. Und wenn es also nur Theile eines noch unbekannten Organismus sein können, so ist durch Deinen glücklichen Fund wahrscheinlich das Räthsel gelöst.

Lieberkühn hätte sich seine Expectorationen über contractile Zelle wohl sparen können, er kommt mir vor wie eine Stimme aus antediluvianischer Zeit, für den die neueren Arbeiten kaum existiren. Fast kommt es mir vor als wolle er Reichert eine Brücke bauen, ich glaube aber der wird ihm die Mühe schlecht lohnen.

Jetzt ist es gerade ein Jahr daß ich bei Euch in Jena war d. h. von morgen Pfingsten. Mir ist es || in dem verflossenen nicht besonders ergangen, so daß ich nicht viel habe arbeiten dürfen. Es betrübt mich oft daß ich um meine vielen begonnenen Beobachtungsreihen zu Ende zu führen und die Publicationen zu vollenden, mit denen ich mich trage, mein Lehramt wenigstens auf einige Zeit aufgeben müßte, da es meine Körperkraft zu sehr absorbirt. In diesem Jahre werde ich wenigstens die Ferien nicht reisen und dann hoffentlich ein tüchtiges Stück mit dem Versprochenen vorwärts kommen.

Grüße Deine liebe Frau und laß Dich womöglich die Ferien hier einmal sehen. Gegenbaur ebenfalls herzlichen Gruß

Dein

treuer

Max Schultze

Brief Metadaten

ID
16524
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
05.06.1870
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,2 x 21,8 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 16524
Zitiervorlage
Schultze, Max an Haeckel, Ernst; Bonn; 05.06.1870; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_16524