Bonn 9 Mai 1868.
Mein lieber Freund!
Ich weiß wirklich nicht ob ich Dir bereits auf Deinen freundschaftlichen Glückwunsch gedankt habe, jedenfalls glaub ich nicht direct, und thue dies hiermit von ganzem Herzen. Die Zeit meiner Hochzeit rückt jetzt heran, um so mehr sehne ich mich nach dem neuen häuslichen Glück und der Ruhe, die icha natürlich gerade jetzt, wo ich auch in meinem Hause vielfache Veränderungen vorzu nehmen habe, am wenigsten finden kann.
Dennoch habe ich gestern Deinen reizenden Aufsatz über Moneren gelesen, für den ich Dir bestens danke. Meine Leidenschaft für diese Wesen ist durch Deine || Beobachtungen und Betrachtungen nur wieder neu erwacht, und in allen wesentlichen Punkten stimme ich vollkommen mit Dir überein. Auch die Darstellung muthet mich an, so sehr Du auch Deiner Ausgelassenheit hast die Zügel schießen lassen. Du weißt ja, daß ich für Deine generelle Morphologie schwärme, so sehr auch nüchterne Forscher Recht haben mögen, wenn sie Dich im Einzelnen tadeln. Du konntest es nicht anders schreiben, und ich bedauere es nicht, daß das prematur nonum in annum hier nicht zur Anwendung gekommen. Die Neulandflüge haben gut gethan, fahre nur fort || die Mittelmäßigkeit, die ängstlichen und kleinlichen Naturen, vor Allem aber das Unlogische zu geißeln, um so schneller wirst Du der Descendenztheorie, der die Zukunft angehört, Jünger zuführen.
Reichert hat sein Theil reichlich verdient, ein dreifaches Hoch Deiner Feder!
Grüße Deine Frau unbekannter Weise von mir und sage ihr, welch fröhlichen Widerhall Deine Worte bei mir gefunden haben.
Greeff, der langweilige Geselle, anders habe ich ihn nie bezeichnen mögen, mag sich entsetzen, hat er sich doch auch ob Deiner „generellen“ gekreuzt. Ich komme wenig mit ihm zusammen. Auf Dich soll er schlecht zu sprechen sein, so haben mir Andere erzählt, weshalb weiß ich nicht. Er hat jetzt ein 30 || Bogen starkes Reisewerk – populär überflüssig – drucken lassen, es wirdb ziemlich fertig sein, also bald versandt werden.
Den Cienkowsky hättest Du aber doch für seinen Unsinn mit der contractilen Intercellularsubstanz etwas hernehmen sollen.
Zu den fröhlichen Aussichten meinen herzlichen Glückwunsch. Gegenbaur sag’ Dank und Gruß, seine Abhandlung über die Drehung des Oberarmknochens hat mich um so mehr interessirt, als mir die französische Vorarbeit ganz unbekannt geblieben war.
In Nizza habe ich nur einmal eine große Gergonide gehabt, und wegen Embarras de richesse nicht einmal ausnutzen können. Für Retina, namentlich der Mollusken, bin ich sehr zufrieden, die Cephalopoden und Heteropoden haben Stäbchen mit höchst merkwürdiger, bisher gänzlich unbekannter Plättchenstructur. Bei den Krebsen, namentlich auch den Hyperiden, Corycaeiden, Asopoden ist die Bildung der Sehstäbe durchaus übereinstimmend, immer geschichtet, ganz ähnlich wie ich beschrieben habe. ||
Dabei fällt mir ein Du erwähnst eines Briefes, den Du mir im Januar geschrieben. Einen habe ich nicht erhalten und keinerlei Notiz, daß Dir mein Buch über die Augen der Krebse etc zukommen. Bruder Bernhard grüße, u. laß ihm sagen er soll heirathen. Pflüger gründet jetzt ein Archiv für Physiologie zu welchem Du Bois sich als Mitarbeiter hat einschreiben lassen. Wenn er doch endlichc die Genossenschaft mit Reichert aufgäbe! Aber die Schwämme für Coelenteraten zu halten will mir doch noch nicht einleuchten, wenn ich auch zugebe, daß bei Hyalonema immer noch dies und jenes aufzuklären geblieben ist.d
Sehr erstaunt hat mich bei Astropecten (ziemlich kleinen Exemplaren) nicht die Spur eines lichtbrechenden Körpers in den Augen zu finden, so daß mir Dein Vergleich mit den Augen der Gliederthiere nicht verständlich geworden. Ich habe keine großen Seesterne gehabt, sollte darin der Grund liegen?
Vollkommen wie Daphnia-Augen sind dagegen die auf den Fühlern von Sabella. Ich glaube Kölliker hat dieselbe beschrieben. Bitte theile mir mit wenn Du weißt wo. Alciope habe ich zu meineme Bedauern nicht gefunden. Auf dies Thier hatte ich mich auch besonders gefreut. Ebenso konnte ich keine Pecten erhalten. Es ist ein elendes Nest das Nizza wenn man kein Schleppnetz hat. Mir lieferte für die kurze Zeit immer der Fischmarkt und Francois Martin von Villa franca genug.
Nun ade.
Dein Max.f
a eingef.: ich; b gestr.: sind, eingef.: sind; c Text fortgesetzt vertikal am linken Rand von S. 4: „Dabei fällt … endlich“; d Text fortgesetzt vertikal am linken Rand von S. 3: „die Genossenschaft … geblieben ist.“; e Text fortgesetzt vertikal am linken Rand von S.2: „Sehr erfreut … zu meinem“; f Text fortgesetzt vertikal am linken Rand von S. 1: „Bedauern … Dein Max.“