Schultze, Max

Max Schultze an Ernst Haeckel, Bonn, 16. Februar 1866

Bonn 16 Februar 66.

Mein lieber Freund!

Es ist so lange her das Du Nichts von Dir hören ließest das ich auf den Gedanken gekommen bin, ich sei an der Reihe des Schreibens. Ist dem so dann rechte nicht mit mir – da ich in diesem Punkte wirklich jetzt, bei sehr zeitraubender Correspondenz und vielen amtlichen Arbeiten, unzurechnungsfähig bin. Ich habe zwar wieder eine fesselnde wissenschaftliche Arbeit vor, was ich sonst wohl im Wintersemester, das mich gewaltig in Athem hält, vermied. Aber jetzt wo jede andere gemüthlich befriedigende Beschäftigung außer mit meinen Kindern aufgehört hat, bleibt mir ja Nichts anderes übrig als ein Arbeitspferd zu sein.

Wie geht es Dir, was macht Dein Buch, auf das ich täglich hoffe, da Du mir || schriebst, Du würdest bis Weihnachten damit fertig sein, was die Hydromedusen? Ich hatte mich darauf gespitzt, in Ostende Einiges an Medusen zu finden und mir die Nerven und namentlich die Sinnesorgane genauer anzusehen. Doch habe ich außer zwei Exemplaren von Rhizostoma Cuvieri – freilich einem Prachtthier – auch nicht die kleinste Meduse gefunden, ausgenommen die in meinen Gläsern aus Tubularien sich entwickelnden. Diese sind zu histiologischen Untersuchungen aber zu klein; jene zu gros. Wenigstens kam ich an 55 Rhizostoma bezüglich der Sinnesorgane und Nerven zu gar keinem Resultate.

Von Noctiluca wimmelt das Meer um Ostende. Natürlich habe ich sie mit Osmiumsäure behandelt; es tritt dabei aber keine andere Veränderung auf als bei eiweis- u. fettarmena thierischen Geweben, sie färben sich langsam durch und durch schwärzlich. || Daß sie einen dem Rhizopoden Kern ähnlichen Kern besitzen, davon habe ich mich überzeugen können. Gewiß gehen von demselben auch einmal Fortpflanzungsfunctionen aus, um das auszumitteln müßte man sich länger mit dem Zeug beschäftigen. Gromien gab es herrliche in einem Austernpark und ich war eifrig hinterher die Kerne derselben, deren immer einer oder mehrere vorhanden sind, zu messen zu zählen und zu analysiren, als mit der unseligen Krankheit meiner unvergeßlichen Frau, meiner armen Christine, jedes Arbeiten aufhörte. Ach Du glaubst nicht wie gern sie gelebt hätte, was sie ihrem Mann und ihren Kindern war, und wie elend ich durch ihren Verlust geworden bin. Verzeih daß die Erinnerung mich zu solchen unnützen Klagen aufreizt.

Was der Esel Reichert über Gromien publicirt ist der baarste Unsinn und ein Beweis, daß ihm wirklich die geringste || Geschicklichkeit zu mikroskopischen Beobachtungen abgeht. Oder was ich eher noch annehme, sein Material ist so klein, seine Geduld beim Beobachten so gering gewesen, daß er die Kerne, die jeder Anfänger bei einiger Aufmerksamkeit wahrnimmt, übersehen konnte. Was er über die Scheidung in contractile Rinde und nicht contractiles Innere sagt, ist auch rein am Schreibtisch abstrahirt, und allein darauf berechnet nun doch eine Membran herauszubekommen um einen Inhalt. Wie plump! Jetzt wird die bewegliche contractile Substanz die, wie Reichert jetzt selbst zugibt nicht existirtb zur Membran. Ich werde ihm diese Täuschungen vorhalten.

Ehrenberg, der arme Blinde, hat in der naturforschenden Gesellschaft meinen Diatomeenaufsatz, den ich ihm zuschicktec in dem Glauben ihm eine Freude damit zu bereiten, sehr gereizt besprochen; dabeid geht er von der merkwürdigen Voraussetzung aus, ich hielte die Diatomeen für Pflanzen und suche neue Beweise für ihre pflanzliche Natur beizubringen. Er kennt also den Inhalt desselben gar nicht. Doch nun genug für heute. Gehst Du Ostern nach Berlin? Neulich erzählte mir Jemand, Du wolltest nach Afrika. Wird denn die Nordpolexpedition ein ordentlicher Naturforscher mitmachen? Du ziehst wohl den Süden vor, sonst für Medusen wäre der Norden wohl nicht so übel? Fritz Müller mochte Dich gern zur Herausgabe einer Zeitschrift für Darwin veranlassen. Willst Du nicht? Laß bald von Dir hören.

Dein Max Schultze.

Was hast Du denn zu dessen Aufsatz über die Hornspongie gesagt? und hat Dir nicht dere Echiniscus Sigismundi gefallen? Wie steht es denn mit Stein’s Infusorienwerk? Das sollte ja schon im Sommer vorigen Jahres bei Engelmann erscheinen.f || Noch eins. Diese Tage schickte mir Prof. Ernst Hallier (als ich das Siegel E. H. sah hoffte ich es sei von Dir) einen Aufsatz für das Archiv enthaltend die Entwickelungsgeschichte niederer Pilze. Die Darstellung ist der Art, daß ich ihn aufnehmen werde. Von vorneherein habe ich zu dem Verfasser kein großes Zutrauen, Bitte schreibe mir Deine Meinung über ihn, damit ich weiß wie streng ich etwaige spätere Zusendungen desselben werde durchgehen müssen.

In Archiv Angelegenheiten muß ich Dich doch von einem Anerbieten in Kenntniß setzen, das mir kürzlich gemacht wurde, zumal Du von anderer Seite davon hören könntest. Schon als ich im October in Berlin war drangen Kühne u. du Bois Reymond in mich, ich solle statt Reichert in die Redaction des Müller’schen Archivs eintreten. Letzterer erklärte vom Verleger zu diesem Anerbieten an mich autorisirt zu sein, da das Archiv sich sonst auflösen würde, die Zahl der Abonnenten schmelze immer mehr zusammen. Ich lehnte ab, da mir mein selbstgegründetes Journal lieber sei als Reicherts Erbslast, in die g mich auch nur dem Schein nach einzudrängen ich Anstand nehmen müsse. Auch gefalle mir die Doppelredaction nicht, und riethe ich du Bois, ein Archiv für Physiologie daraus zu machen, das entschieden zeitgemäß sei. Du Bois fand dies ganz natürlich.

Bald darauf hat er eine Besprechung mit dem Verleger gehabt, deren Resultat gewesen, noch einmal an mich zu gehen und mir die Redaction eines selbstständigen anatomischen Theiles das nach Art der Annales des sciences naturelles in zwei Serien zu spaltenden Archives anzubieten. Dabei wurde mir überlassen Bedingungen nach Wunsch zu stellen, freilich aber vorausgesetzt, daß ich mein Archiv aufgebe. Du Bois schien sein ganzes Herz an dieses neue Arrangement zu hängen, und wahrlich es ist ihm nicht zu verdenken || daß er aus der Gemeinschaft mit Reichert herausmochte. Ich hätte ihm gern dazu verholfen, aber so nicht. So leid es mir in pietätvollem Andenken für Müller thut, das Archiv unter einem so eigensüchtigen, dünkelhaften und albernen Menschen wie Reichert ist, verfallen zu sehen, so wenig kann ich unter den obwaltenden Verhältnissen mich berufen fühlen, dem Verleger wieder zu einer größeren Zahl von Abonnenten zu verhelfen. Gerade weil Reichert es ist, darf und kann ich mich in dem Rückbildungsproceß, der sich hier naturgemäß vollzieht, nicht mischen. Ich habe noch meinen Bruder Bernhard zu Rathe gezogen, aber der giebt mir vollkommen Recht, daß ich die Sache gehen lassen soll wie sie geht, und Reichert keine Gelegenheit geben, seinen Ruin auf meine Kosten zu beschönigen. Ich habe also definitiv abgelehnt. Ich hoffe Du billigst meinen Entschluß. Man wird Dir in Berlin sicher davon erzählen, denn als Geheimniß scheint die Sache nicht betrieben zu sein, und wird mich vielleicht tadeln. Hätte ich einen augenblicklichen Vortheil allein ins Auge gefaßt, so hätte ich ja auch annehmen müssen. Mir ist aber so viel wohler. Uebrigens will ich nicht der sein, der die Angelegenheit unter Menschen gebracht hat, wenn Du also in Berlin nicht darauf angeredet wirst, schweige davon.

Natürlich liegt mir jetzt aber doppelt daran mein Archiv mit guten Aufsätzen zu füllen, und hoffe ich Ihr Jenenser Histiologen werdet auch mal einen Beitrag liefern. Daß Engelmann das Unternehmen scheel ansieht ja sich nicht entblödet, meinen Verleger persönlich schlecht zu machen, wozu ihm der geringste thatsächliche Anhalt fehlt, habe ich leider gehört.

Nun aber ade! Grüße Gegenbaur

Dein alter Freund

Max Schultze.

a eingef.: u. fett; b eingef.: nicht existirt; c eingef.: zuschickte; d korr. aus: und; e Text weiter am linken Rand von S. 4: Jemand … der; f Text weiter am linken Rand von S. 3: Echiniscus … erscheinen.; g gestr.: ich

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
16.02.1866
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 16512
ID
16512