August Weismann an Ernst Haeckel, Freiburg, 19. Januar 1894
Herrn
Prof. Häckel
Jena.
Freiburg i. Br. | 19 Jan. 1894.
Hochgeehrter Freund und College!
Haben Sie herzlichen Dank für Ihre liebenswürdigen Glückwünsche! Ich wußte nicht, daß mein Geburtsfest anders als im engsten Familienkreise bekannt werden würde u. glaubte schon, ich würde mich unbemerkt über die Schwelle des Alters hinüberschleichen können. Ihr Brief war mir das erste Zeichen, daß dem doch nicht ganz so sein werde, u. die mancherlei Beweise von Theilnahme an meiner Person haben mich dann doch recht sehr gefreut, denn es kann Einem doch nicht gleichgültig sein, ob diejenigen, die man selbst hochschätzt, gut von Einem denken. Sie selbst u. Ihre Jenenser Freunde ha-||ben micha in dieser Hinsicht ganz besonders durch Ihre freundlichen Worte erfreut, denn es würde mir ganz ungemein leid gewesen sein, wenn die Verschiedenheit in gewissen Punkten unserer wissenschaftlichen Überzeugung sich – wie das ja vorkommt – in persönliche Verstimmung umgesetzt hätte. Nein! auch ich bedaure, daß wir im Augenblick nicht in Allem übereinstimmen, aber das hat mich niemals abgehalten, die Fülle von Beobachtungen u. Gedanken, die Sie der Wissenschaft gebracht haben, mit Dank u. Freude anzuerkennen. Wir arbeiten ja nicht, um Recht zu behalten mit unsern augenblicklichen Vorstellungen, sondern um der Wahrheit etwas näher zu kommen, u. es ist durchaus nicht gesagt, daß ein Weg, der sich schließlich als der falsche herausstellt, deshalb nun auch nutzlos gewesen sei. Ich glaube: im Gegentheil, ist er falsch, nun dann stehen wir in Zukunft auf dem andern um so fester u. sicherer. ||
Sie feiern selbst demnächst das Fest, das jetzt hinter mir liegt. Unter der Masse der Glückwünsche, die sich an jenem Tage um Sie drängen werden, wird auch der meinige nicht fehlen, aber da Sie dann doch keine Zeit haben, Alles zu lesen, was Ihre zahllosen Verehrer aus allen Welttheilen Ihnen Gutes wünschen, so möchte ich jetzt schon Ihnen sagen, daß ich Ihnen nichts Besseres wünschen kann, als was Sie selbst mir am Schluße Ihres Briefesb mit so schönen Worten wünschen: Gesundheit als Erstes u. was sich darauf aufbaut einen freundlichen Lebens-Abend. Leider vermögen Wünsche Nichts, aber Sie haben gegründetere Aussicht auf Erfüllung derselben als ich, der ich die Lebensgefährtin verloren habe u. einsam dastehen werde, wenn die beiden Kinder, die noch bei mir sind, auch in die Welt hinausgegangen sein werden.
Herzlich grüßend
Ihr
August Weismann
a eingef.: mich; b korr. aus: Briefen