Weismann, August

August Weismann an Ernst Haeckel, Lindau i. B., 19. Oktober 1877

Villa Lindenhof | bei Lindau | am Bodensee | 19 Okt. 1877.

Lieber Freund u. College!

Da ich durch Fels höre, daß Sie wieder in Jena sind, so will ich nicht säumen, mich mit einer Bitte an Sie zu wenden, die vielleicht sonst zu spät kommen könnte.

Sie sprachen mir in München von der Möglichkeit, die Challenger Crustaceen theilweise zur Bearbeitung zu erhalten u. machten mich mit Murray bekannt, um mit ihm darüber zu sprechen. Soweit ich nun mich mit ihm verständigen konnte (mein Englisch ist nicht weit her!) habe ich || es gethan, allein ich fürchte doch, daß er nicht ganz klar war über meine Wünsche, auch schien es mir, als ob er selbst bei der Vergebung dieses Materials nicht selbstständig handeln kann. Sehr möglich auch, daß er meinen Namen gar nicht kennt, u. die Unterredungen in München waren meist so kurz u. stürmisch, daß Namensverwechslungen sehr denkbar sind.

Da es mir nun recht angenehm wäre, die Branchiopoden (Daphnoidea u. Phyllop.) der Challenger zu bearbeiten – vorausgesetzt, daß man mir hinlänglich Zeit läßt – so möchte ich bei Ihnen anfragen, ob Sie vielleicht so liebenswürdig wären, diese Sache zu vermitteln. Ich selbst kenne Thomson nicht u. möchte nicht um Etwas petitioniren, was man doch schließlich nicht || dem gibt, der es gern haben möchte, sondern Dem, von dem man glaubt, daß er es am besten verwerthen werde.

Ich habe recht bedauert, daß ich Sie nur so kurz sprechen konnte. Gern hätte ich auch über den „Kosmos“ mit Ihnen gesprochen u. über mein Verhältniß zu demselben. Die Redaction konnte ich unmöglich übernehmen, ohne auf alles eigne Arbeiten zu verzichten. Ich gestehe Ihnen übrigens offen, daß mich auch der Name Caspari Etwas zurückgeschreckt hat – nicht nach eigner Kenntniß des Mannes u. seiner Leistungen, sondern nach dem in Heidelberg allgemein cursirenden Urtheil über ihn. Daß Sie an der Zeitschrift Theil nehmen würden, war mir nicht mitgetheilt worden; ebensowenig was sonst für Mitarbeiter in Aussicht stünden, das ganze Anerbieten kam so plötzlich || u. mußte mir so unklar erscheinen, daß ich schon deshalb nicht anders entscheiden konnte – u. rasche, wo möglich umgehende Entscheidung wurde verlangt.

Sonst aber glauben Sie mich nicht etwa in principiellem Gegensatz zum „Kosmos“. Ich habe in München die Erfahrung gemacht, daß meine philosoph. Deductionen in den „Studien“ in ihrem eine letztea teleologische Weltursache postulirendem Theil viel zu positiv aufgefaßt worden sind. Ich habe nur zeigen wollen, daß die Annahme einer solchen durch die mechanische Naturauffassung keineswegs ausgeschlossen wird. Eine positive Lösung des letzten Räthsels kann ja Niemand geben u. ich werde mich dessen gewiß nicht vermessen!

Mit herzlichem Gruß

Ihr

ergebner

Aug. Weismann

a korr. aus: einen letzten

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
19.10.1877
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 16457
ID
16457