Weismann, August

August Weismann an Ernst Haeckel, Frankfurt a. M., 15. Oktober 1865

Frankfurt a / M

15. Oktober 1865

Lieber College u. Freund!

In welchem Licht muß ich Ihnen erschienen sein, wenn ich es bis jetzt habe anstehen lassen, Ihnen einige Nachricht von mir zu geben? Glauben Sie aber nicht, daß Ihra so sehr liebenswürdiges Entgegenkommen vergessen wäre, seien Sie vielmehr überzeugt, daß es mein aufrichtiger Wunsch ist, Sie recht bald – sei es wo immer – wiederzusehen, womöglich länger als in Jena. Meine jammervollen Augen waren der einzige Grund, der mich abhielt, Ihnen dies früher zu sagen.

Leider ging mir’s den ganzen Sommer über noch gar nicht gut; trotz aller || Luftbäder im Schwarzwald u. in der Schweiz besserte sich die übergroße Empfindlichkeit der Retina gar nicht, u. erst in diesen letzten 14 Tagen habe ich es bis zu schwachen Leseversuchen gebracht. Sie können denken, daß meine Stimmung nicht allzu rosenfarbig war; wer kann bei solcher Hartnäckigkeit des Übels sich des Gedankens erwehren, daß es thörichte Hoffnung sei, noch an völlige Heilung zu denken? Und selbst wenn man diesen zurückdrängt, so bleibt ein volles verlorenes Jahr in unserer Lebenszeit wohl immer sehr schmerzlich. Hunderterlei habe ich versucht u. angefangen, um wenigstens Etwas zu thun, immer aber mußte ich bald einsehen, daß ohne Nachschlagen u. Lesen zu können, sich heutzutage Nichts mehr vollenden läßt. ||

Jetzt endlich beginnt eine entschiedene, wenn auch langsame Besserung, u. da alle Augenärzte, unter ihnen auch Arlt, übereinstimmen in Diagnose u. günstiger Prognose, so darf ich wohl hoffen, im Frühjahr meine Arbeiten wieder aufnehmen zu können. Für den Winter wird mir die verwahrloste Sammlung zu thun machen, deren Direktion mir nebst dem Extraordinariat jetzt endlich zugestanden worden ist.

Hannover habe ich – faute de mieux – mitgemacht! Außer den Göttingern war leider nur wenig da! Van Beneden, der durch die Virchow’sche Rede in seiner rein katholischen Gesinnung gekränkt beinahe wieder abgereist wäre, – u. Troschel, b von dem ich Nichts gehört habe, als einen Vortrag über das nicht mehr ganz unbekannte Thema || der Schneckenzungen. Oscar Schmidt blieb einige Tage, Leuckart fehlte, doch sah ich ihn kürzlich in Gießen, u. hörte wieder einen ganzen Sack voll interessanter Neuigkeiten, besonders von Nematodenentwicklung. Hensen war in Kiel geblieben, er hatte was Besseres zu thun, Sie desgleichen, u. zwar, soviel ich hörte in Helgoland. Sie werden wieder reiche Beute gemacht haben! Wie gern wäre ich dort zu Ihnen gestoßen! Ich war in Hamburg, aber was hilft mir das Salzwasser, wenn ich Nichts ansehen darf! Die Hamburger Aquarien strengten meine Augen grade genug an!

Daß Sie Reichert so abkanzeln, hat mir ungemein wohlgethan! Er hats reichlich verdient!

Nun leben Sie wohl, grüßen Sie Ihren, von mir sehr verehrten Freund Gegenbaur, u. lassen Sie mich mein langes Schweigen nicht entgelten!

Mit freundlichem Gruß

Ihr

aufrichtig ergebner

August Weismann

a korr. aus: Ihre; b gestr.: d

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
15.10.1865
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 16454
ID
16454