August Weismann an Ernst Haeckel, Freiburg, 6. Dezember 1873
Freiburg i Br. | 6 Dec. 1873.
Lieber Freund u. College!
Erlauben Sie mir eine kurze Anfrage!
Erinnern Sie Sich etwa eines Dr. Hans von Hansen aus Wien? früher Arzt in New York, jetzt in der Entwicklung begriffener Zoolog. Er ist hier, hat sich an mich gewandt um Bücher u. Rath.
Wissenschaftlich scheint er mir noch sehr grün, ich möchte nur gern wissen, ob er als Mensch den Ruf eines zuverlässigen u. ehrenhaften Mannes hinterlassen hat.
An Ihrer kritischen Zeitschrift nehme ich mit Vergnügen Theil, soweit es eben meine Arbeitskraft zuläßt, die indessen immer mehr zunimmt. ||
Ihre Infusorien-Arbeit, für deren Zusendung ich besten Dank sage, habe ich soeben u. mit dem größten Interesse gelesen. Als Sie mir vorigen Sommer Ihre Ansicht von der Einzelligkeit d. Infusorien aussprachen, gab mir dies den Anstoß, die Sache durchzudenken u. ich kam genau zu der Ansicht, die Sie jetzt so schön u. klar dargelegt haben. Der Curiosität halber schicke ich Ihnen nächstens das Gerippe eines populären Vortrags, den ich hier kürzlich hielt u. zwar ehe ich Ihren Aufsatz gelesen hatte u. aus dem Sie sehen werden daß ich Ihnen vollkommen beistimme.
Für meine Überzeugung war wesentlich die Entdeckung || des jüngeren Beneden entscheidend, die Ihnen entgangen zu sein scheint, da Sie dieselbe sonst wohl verwerthet haben würden daß nämlich bei der Gregarina gigantea aus dem Darm des Hummer ebenfalls die Differenzirung der Zellsubstanz bis zur Bildung einer „Myophanschicht“ geht.
Was die Cuticula der Infusorien angeht, so haben Sie natürlich vollkommen Recht, die Wimpern als Protoplasmafortsätze anzusehen, sollte es aber undenkbar sein, daß diese – vielleicht nicht immer aber doch häufig – von einer feinsten Cuticularschicht überzogen sind, ebenso, wie der Boden, auf dem sie wachsen?
Herzlichen Gruß
von Ihrem
aufrichtig ergebnen
Aug. Weismann