Weismann, August

August Weismann an Ernst Haeckel, Freiburg, 21. Mai 1867

Freiburg

21 Mai 1867

Lieber Freund!

Wenn ich Ihnen jetzt erst meinen herzlichen Dank sage für die Übersendung Ihrer Morphologie, so bedarf das einer gründlichen Rechtfertigung – ich sage mit Absicht nicht „Entschuldigung“, denn entschuldigt hat mich sicherlich Ihre freundschaftliche Gesinnung schon längst.

Sie können denken, daß es mir ging, wie wohl Allen, ich war sehr überrascht, als ich das großartige Werk erhielt, denn trotz einer früheren vorbereiteten Anspielung von Ihnen hatte ich doch eine so umfassende Gedankenarbeit nicht erwartet, weil ich sie in so kurzer Zeit gar nicht für möglich gehalten hätte. Ich wollte nun gleich in der ersten Freude Ihnen ein Paar Worte des Dankes zusenden, als ich Ihre Reise nach den Canarischen Inseln erfuhr. Ich dachte nun meinen Brief solange aufzuschieben, || bis ich im Stande wäre, Ihnen meine Gedanken über Ihr Werk zu schreiben, u. so begann ich die Lectüre. Leider muß ich mir noch immer vorlesen lassen u. so können Sie denken, daß ich nicht sehr rasch vorwärts kam. März u. April brachte ich bei meiner Braut im Süden zu, in Mentone u. Genua, machte noch einen prächtigen Ausflug nach Corsica u. bin nun seit einigen Wochen wieder hier, hauptsächlich mit der Neuaufstellung unserer Sammlung u. daneben mit Vorbereitungen für meine Verheirathung beschäftigt. Ich lasse mir wieder regelmäßig vorlesen, komme aber doch zu langsam vorwärts, als daß ich mit meinem Brief warten möchte, bis ich mit dem Buch fertig bin. Ich kann Ihnen nur sagen, daß ich Ihnen für das Buch sehr dankbar bin! Andre schimpfen darüber, das wird Ihnen nicht unbekannt sein. Daß ich mit den Ideen, die dem ganzen Werk zu Grund liegen, von vorn herein einverstanden war, wissen Sie; ich finde aber so viele fruchtbare || neue Gedanken darin, daß meine Freude darüber immer zunimmt, je weiter ich lese. Dahin rechne ich vor Allem Ihre Antimeren-, u. Metamerentheorie, u. ganz ungemein leuchtet mir Ihre Auffassung der Echinodermen ein u. ihre Abstammung von den Würmern. Hoffentlich findet sich später einmal Gelegenheit, über dieses u. so vieles Andere mündlich zu reden. Jetzt möchte ich Sie noch über einen Punkt befragen. Sie thun einmal die gelegentliche Äußerung, daß das Eozoon als Rhizopode sicher erkannt worden sei. Ohne Zweifel haben Sie selbst überzeugende Präparate davon gesehen, besitzen sie vielleicht selbst u. wären vielleicht so freundlich, dieselben uns zur Ansicht zu schicken. Was ich bis jetzt davon gesehen habe, bei Kölliker u. hier bei meinem mineralogischen Collegen Fischer hat mich durchaus nicht überzeugt. Da nun sowohl Fischer, der sich grade sehr eifrig mit dem Aufsuchen von Petrefacten in andern Urgebirgsarten beschäftigt, als auch ich sehr gern überzeugt wären von der Rea-||lität des Eozoon, so wäre es uns beiden sehr erwünscht, wenn Sie uns ein schönes Präparat schicken könnten.

Einer Ihrer Schüler Dr. Dohrn hat mir in letzter Zeit mehrfach geschrieben über seine entwicklungsgeschichtlichen Studien; er scheint ein sehr eifriger u. talentvoller Mann. Ist er etwa ein Sohn des alten Stettiner Dohrn?!

Meine Schwester, Frau Pfarrer Felsberg, ist jetzt in Jena, wird aber wohl schwerlich in Ihre Kreise kommen. Sie läßt sich von Gerhard wegen sonderbaren asthmatischen Anfällen behandeln, u. wie es scheint mit vielem Erfolg.

Leben Sie wohl, vergelten Sie mein langes Schweigen nicht, an dem doch nur meine Augen die Schuld tragen. Grüßen Sie Gegenbaur recht herzlich von mir u. danken Sie ihm für die freundliche Zusendung seiner neuesten Arbeiten. Endlich wird ja wohl die Zeit kommen, wo auch ich wieder Etwas an Andre zu versenden habe!

Mit freundlichstem Gruß

Ihr

aufrichtig ergebner

Aug. Weismann

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
21.05.1867
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 16442
ID
16442