Weber, Victor

Victor Weber an Ernst Haeckel, Merseburg, 12. September 1852

Merseburg den 12/9 1852.

Abends

Mein bester Ernst!

Wenn ich behaupten wollte, daß mir die Nachricht: es ist ein Brief von Haeckel da Freude gemacht hätte, so müßte ich lügen. Von zu Hause eben hier angekommen die Nacht über im Träume bei Dir gewesen, war ich auf dem ganzen Wege nur mit Dir beschäftigt, sprach, bummelte usw. mit Dir schon im Geiste u. es hatte sich in mir der Gedanke Dich hier in Leiblichkeit zu sehen so eingewurzelt und festgesetzt daß ich ganz erstaunt war bei Osterwalds nicht Dich gleich mir entgegen kommen zu sehen, da Dein Herr Vater schon abgereist war, als ich Deinen letzten Brief u. Sendung an mich erhielt, so konnte ich Dir nicht schreiben (da ich nicht wußte wo Du warst) um mir von Dir den Tag bestimmen zu lassen an welchen ich mich nach Merseburg und Halle zu verfügen hätte. Für die Pflanzensendung sage ich Dir hierbei noch meinen herzlichsten Dank. Eine von den vielen habe ich jetzt selbst gefunden, nehmlich die Atropa und zwar im Schwarzathal (ich bin nehmlich inThüringen gewesen). In der Zeit nach Deinem Brief bis Anfang der Ferien habe ich von Halle aus nur wenig Ausflüge gemacht, einen an den salzigen See, wo ich Schoberia maritima und Chenopodium murale fand aber keine Spur von Scirpus parvulus u. sonst weiter nichts. a Dann war ich noch einmal in Diskau wo ich Utricularia vulgaris auf neuem Standorte fand u. Apium graveolens u. Acthaea Ranunculus Lingua aber wieder nicht wie im vorigen Jahre. In den Ferien bin ich nochmals von zu Hause aus am See gewesen, habe aber außer Artemisia b maritima u. Euphrasia lutea nichts Neues gesehen, indem Echinops, Artemisia pontica und Lactura saligna sich nicht blicken ließen. In den Ferien selbst bin ich glücklicher u. zwar bei Benndorf gewesen, ich habe viel neue Fundorte aufgespürt, so habe ich Spiranthes (im Garten blos bei Allstedt) Thysselinum (blos bei Diskau) Hydrocotyle, Trapa und vielleicht auch Cicuta gefunden. Nach Eragrostis habe ich bei Giebichenstein mehrmals gesucht aber blos gesucht. – Deinen Wunsch eine entsprechende Ladung nun nachfolgen zu lassen, kann ich leider jetzt nicht erfüllen, denn ich || bin jetzt einige Tage in Merseburg u. habe natürlich mein Herbarium nicht bei mir; habe auch, da mir die Zeit so kurz angerechnet ist, keine Gelegenheit mir das Nöthige von dort zu holen. Was Du wünschst, kannst Du alles bekommen nur das eine nicht Lithospermum officinale da ich selbst gar keines oder nur ein Exemplar habe u. Weiß desgleichen. Was meine Reise anbetrifft, so wirst Du gewiß, wie ich selbst, glauben, daß ich mit einem Fuhrmann accordirt habe um alle meine Ernte hieher in die Scheuern zu bringen, ja, wenn fast nichts dazwischengekommen wäre. Ausgeschrieben hatte ich mir aus dem Schönheit Flora von Thüringen (bei W. Schmidt in Halle für 20 sgr) einen ganzen Bogen voll, was ich gefunden habe, geht auf eine Octavblattseite. Bei Jena fand ich von merkwürdigen nur Impatiens parviflora. In Rudolstadt aber das solange ersehnte Diplotaxis ein ganz herrliches aber stinkendes Dings. Hier in Rudolstadt sahen wir auch zu, wie auf einen großen Platze 15 Mann Soldaten mit ebensoviel Spielleuten und Offizieren vor einem Preußen Parade machten. Bei Blankenburg fand ich noch Erysimum odoratum. Sonst habe ich noch Ledum purpuroscenz, Monotropa, Atropa, Conyza squarrosa Teucrium scorodonia (endlich!) Chrysanthemum Parthenium, Digitalis purpurea, Aster amellus, Gentiana germanica, Sambucus racemosa, Alchemilla vulgaris, Dipsacus pilosus, Aconitum variegatum und lycoctonum und noch einiges was mir nicht einfällt. Der Hetzer ließ sich neulich mit einer Gesellschaft Erfurter Apotheker ein, die weder botanisiren noch sehen, sondern blos laufen (und trinken nebst poussiren … wollten c und Hetzer schon des lieben Renommirens wegen, machte stark mit. Daher rannten sie durch die schönsten Punkte und blieben in wenigen länger sitzen, und wenn ich eine Pflanze fand oder was zeichnen wollte, mußte ich allemal eine ½ Stunde nachlaufen. Ich trennte mich daher auch in Georgenthal von ihnen u. ging bis Wilhelmsthal allein dort traf ich sie doch wieder. Indeß sind doch die vollen Blätter in meinem Skizzenbuch stark angeschwollen, es wäre aber jedenfalls ganz voll geworden wenn ich nach meinem Belieben jeden Baumsturz, Quelle u.s.w. als ein Skizzchen hätte zeichnen wollen. Von Paulinzelle ging ich ab um Schönheit zu besuchen verlief mich nach Gösselborn, kam endlich nach Singen wo er ist, ging vor sein Haus hörte seinem d || Klavierspiel zu, besah mir Haus und Kirche, ging fort und verlief mich wieder, denkend da könnte wohl jeder dumme Hund kommen und besuchen wollen. Eine Reisebeschreibung, die übrigens ziemlich langweilig sein würde, kann ich Dir wegen Mangel an Zeit nicht geben. Doch soviel kann ich Dir sagen, nach 3 Wochen in Thüringen und ich war ein Söffel d. h. blos in Thüringen, in Merseburg oder Halle nicht, denn da giebts ander Bier. –

Von dem schreckenerregenden Durchfall der hier eines Tags auf der Schule geherrscht hat wird Dir W[eiß] geschrieben haben, s ist mit 2000 Schrecken!!

Im Thüringerwald ist der Inselberg

Ein respectabler Riese

Doch in dem Alpenparadiese

Wär er ein kleiner Zwerg

So kömmt es auf den Ort nur an

Zu sein ein großer oder kleiner Mann {dies ist ein Gedicht von Göthe (Henkel Max) das er eines Abends späte u.s.w.

Da aber die Post abgehen, meine Lampe auslöschen und meine Augen zufallen will und wollen; es ist Abends 10 Uhr, so schließe ich meinen wirklich klassischen Brief. Was mir über Nacht noch einfällt werde ich morgen noch nachtragen. Bis ich dahin wünscht Dir aus ganzer Seele eine gute stärkende, erquickende beruhigende und erfrischende u.s.w. Nacht.

Lebe wohl, gedenke zuweilen Deines sehnlichst harrenden Freundes u. e mache dessen bis jetzt leeren Traum zur gegenständlichen Wirklichkeit, die aus einem frischen gesunden u. alten (d.h. wie es war vor f Ostern) Ernst Häckel besteht. Schlaf wohl, ich freue mich schon wenn Du mir wieder als freundliche Gestalt im Traume erscheinst.

Victor W.

Dein alter getreuer

Freund.

Guten Morgen! Ich wollte heute weiter schreiben, bin aber so zerstreut u. kann mich so wenig darauf besinnen was ich noch schreiben wollte, daß es wohl das Beste ist ich schreibe nur alle Fragen u. Bitten u.s.w. auf u. bringe sie bei dem 3 Kaiserbesuch mündlich vor. Ich kann jetzt kein vernünftiges Wort herausbringen − g werde daher möglichst schnell gesund u. erscheine Deinem wartenden Freund V. W. ||

Hetzer ist verreist, kann nicht mit schreiben.

a gestr.: Von zu; b gestr.: pontic; c gestr.: dah; d gestr.: Spazier; e gestr.: erfülle; f gestr.: ante; g gestr.: fühle Dich

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.09.1852
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 16197
ID
16197