Wilhelm von Waldeyer-Hartz an Ernst Haeckel, Berlin, 28. Oktober 1908
PROF. DR. WALDEYER.
BERLIN W. 62 28. Oktober
53 LUTHERSTRASSE 1908 und
22 Novbr. 1908.
Hochverehrter Herr Kollege!
Empfangen Sie meinen herzlichen Dank für die gütige Zusendung Ihres Werkes: „Unsere Ahnenreihe“, welche mir zugleich ein liebes Andenken an Sie, verehrter Herr Kollege, und an die 350jährige Jubelfeier der Universität Jena, eines unserer besten Geisteshorte, ist und bleiben wird.
Gestatten Sie mir ein paar Bemerkungen zu diesem Werke und zu Ihrem früheren: „Das Menschenproblem“.
Man kann wohl nicht mehr zweifeln, dass die Fundschicht in Trinil (Java), der der „Pithecanthropus“ angehört, nicht tertiär, sondern diluvial ist; ob nun mehr altdiluvial, oder jüngerer Zeit, das ist strittig. Indessen haben Sie recht wenn Sie sagen: „Jedenfalls ist es unbe-||rechtigt zu sagen: „Weil Mensch und Pithecanthropus in Indonesien gleichzeitig nebeneinander gelebt haben, kann der letztere einen Platz im Stammbaum des Menschen nicht finden.“
Am 19t. November hielt ich in der hiesigen Ortsgruppe des Monistenbundes einen sehr stark besuchten Vortrag über die Keimesgeschichte des Menschen; ich habe dazu auch Ihre beiden letzten Werke: „Das Menschenproblem“ und „Unsere Ahnenreihe“ benutzt, mochte mich aber nicht entschliessen die Figuren Taf. II. M IIte Stufe und IIIte Stufe M, ferner MI auf Taf. III zu verwenden, da ich nicht sicher sein konnte, sie als menschlich anzuerkennen. Die jüngst erschienene Normentafel von Reibel, || welche alle bekannten und beschriebenen menschlichen Embryonen enthält, bringt kein Stadium dieser Art vom Menschen und mir ist auch aus der sonstigen Litteratur nichts derartiges vom Menschen bekannt. Sollten da nicht irgendwelche Verwechslungen vorliegen?
Verzeihen Sie, hochverehrter Herr Kollege, den Ausdruck meines Zweifels; wo ich Ihnen folgen kann, da thue ich es stets und gern.
Mit hochachtungsvollem Gruss
Ihr sehr ergebener
Waldeyer.
P.S. Die Zweizeitigkeit meines Briefes bitte ich damit zu erklären und zu entschuldigen, dass ich mich in der Zwischenzeit noch überall nach menschlichen Embryonen-Abbildungen und Beschreibungen umgesehen habe.
Waldeyer.